E.M. Remarque
Da
sind wir allein.«
Sie tasteten sich zur Tür und gingen auf die Seite der Baracke, die vor dem
Winde geschützt war. Die Stadt war abgeblendet und zum großen Teil gelöscht.
Nur der Turm der Katharinenkirche brannte noch wie eine riesige Fackel. Er war
sehr alt und voll trockenen Gebälks; die Schläuche der Feuerwehr konnten nichts
gegen ihn ausrichten, und man mußte ihn ausbrennen lassen.
Sie hockten sich nieder. »Was sollen wir machen?« fragte 509.
Berger rieb seine entzündeten Augen. »Wenn die Krone auf der Schreibstube
registriert ist, sind wir verloren. Sie werden nachforschen und ein paar von
uns hängen. Mich als ersten.«
»Er sagt, sie sei nicht registriert. Als er kam, gab es das hier noch nicht. Er
ist seit sieben Jahren im Lager. Goldzähne wurden damals ausgeschlagen, aber
nicht registriert. Das kam später.«
»Weißt du das genau?« 509 hob die Schultern.
Sie schwiegen eine Weile. »Wir können natürlich immer noch die Wahrheit sagen
und die Krone abliefern. Oder sie in seinen Mund stecken, wenn er tot ist«,
erklärte 509 schließlich. Seine Hand schloß sich eng um den kleinen Klumpen.
»Willst du das?«!
Berger schüttelte den Kopf. Das Gold war Leben für einige Tage. Beide wußten,
daß sie es jetzt, da sie es hatten, nicht mehr abliefern würden.
»Könnte er den Zahn nicht schon vor Jahren ausgebrochen und selbst verkauft
haben?« fragte 509.
Berger sah ihn an. »Glaubst du, daß die SS sich darauf einläßt?«
»Nein. Besonders nicht, wenn sie die frische Wunde im Munde entdeckt.«
»Das ist das wenigste. Wenn er noch etwas durchhält, heilt die Wunde. Es ist
außerdem ein hinterer Backenzahn; das macht die Kontrolle schwieriger, wenn die
Leiche erst starr ist. Wenn er heute Abend stirbt, ist er morgen Vormittag
soweit. Wenn er morgen früh stirbt, müssen wir ihn hier behalten, bis er starr
ist. Das geht. Handke können wir beim Morgenappell täuschen.« 509 sah Berger
an. »Wir müssen es riskieren. Wir brauchen das Geld. Jetzt besonders.«
»Ja. Wir können ohnehin nichts anderes mehr machen. Wer soll den Zahn
verschieben?«
»Lebenthal. Er ist der einzige, der es machen kann.«
Hinter ihnen öffnete sich die Tür der Baracke. Ein paar Leute zerrten eine
Gestalt an Armen und Beinen heraus und schleiften sie zu einem Haufen neben der
Straße.
Dort lagen die Toten, die seit dem Abendappell gestorben waren.
»Ist das schon Lohmann?«
»Nein. Das sind keine von den Unsern. Das sind Muselmänner.«
Die Leute, die den Toten losgelassen hatten, taumelten zur Baracke zurück.
»Hat irgend jemand gemerkt, daß wir den Zahn haben?« fragte Berger.
»Ich glaube nicht. Es sind fast alles Muselmänner, die da liegen. Höchstens der
Mann, der uns die Streichhölzer gegeben hat.«
»Hat er was gesagt?«.
»Nein. Bis jetzt nicht. Aber er kann immer noch einen Anteil verlangen.«
»Das ist das wenigste. Die Frage ist, ob er es für ein besseres Geschäft hält,
uns zu verraten.« 509 dachte nach. Er wußte, daß es Leute gab, die für ein
Stück Brot zu allem fähig waren. »Er sah nicht so aus«, sagte er schließlich.
»Warum hätte er uns sonst die Streichhölzer gegeben?«
»Das hat nichts damit zu tun. Wir müssen vorsichtig sein. Sonst sind wir beide
erledigt. Und Lebenthal ebenso.« 509 wußte auch das gut genug. Er hatte manchen
Mann für weniger hängen sehen.
»Wir müssen ihn beobachten«, erklärte er. »Wenigstens so lange, bis Lohmann
verbrannt ist und Lebenthal den Zahn verschoben hat. Danach nützt es ihm nichts
mehr.«
Berger nickte. »Ich gehe noch einmal 'rein. Vielleicht finde ich schon etwas
heraus.«
»Gut. Ich bleibe hier und warte auf Leo. Er muß noch im Arbeitslager sein.«
Berger stand auf und ging zur Baracke hinüber. Er und 509 hätten ohne Zögern
ihr Leben riskiert, wenn Lohmann durch irgend etwas zu
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