E.M. Remarque
einmal.
»Nein. Wir müssen abwechselnd schlafen. Ein Teil muß draußen bleiben.«
»Gibt es noch etwas zu essen? Wir sind den ganzen Tag marschiert und haben
nichts bekommen.«
»Die Essenholer sind zur Küche gegangen.« Berger sagte nicht, daß er glaubte,
für die Neuen würde kein Essen ausgegeben werden.
»Ich heiße Sulzbacher. Ist dies ein Vernichtungslager?«
»Nein.«
»Sicher nicht?«
»Nein.«
»Oh, Gott sei Dank! Habt ihr keine Gaskammern?«
»Nein.«
»Gott sei Dank«, wiederholte Sulzbacher.
»Du redest, als wärst du im Hotel«, sagte Ahasver. »Warte nur erst ab. Woher
kommt ihr?«
»Wir sind seit fünf Tagen unterwegs. Zu Fuß. Wir waren dreitausend. Unser Lager
ist aufgelöst worden. Wer nicht weiterkonnte, wurde erschossen.«
»Woher kommt ihr?«
»Von Lohme.«
Ein Teil der Neuen lag noch auf dem Boden. »Wasser!« krächzte einer. »Wo bleibt
der mit dem Wasser? Säuft sich selber voll – das Schwein!«
»Würdest du das nicht auch machen?« fragte Lebenthal.
Der Mann starrte ihn mit leeren Augen an. »Wasser!« sagte er ruhiger. Wasser,
bitte!«
»Ihr kommt von Lohme?« fragte Ahasver.
»Ja.«
»Kanntet ihr dort einen Martin Schimmel?«
»Nein.«
»Oder Moritz Gewürz? Einen mit einer eingeschlagenen Nase und ohne Haar.«
Sulzbacher dachte müde nach. »Nein.«
»Oder vielleicht Gedalje Gold? Er hatte nur ein Ohr«, fragte Ahasver
hoffnungsvoll. »Das fällt doch auf. Er war im Block 12.«
»Zwölf?«
»Ja. Vor vier Jahren.«
»O Gott!« Sulzbacher wandte sich ab. Die Frage war zu idiotisch. Vor vier
Jahren! Warum nicht vor hundert?
»Laß ihn in Ruhe, Alter«, sagte 509. »Er ist müde.«
»Wir waren Freunde«, murmelte Ahasver. »Man fragt nach Freunden.«
Bucher und Rosen kamen mit dem Wassereimer. Rosen blutete. Sein Chorhemd war an
der Schulter zerrissen; seine Jacke stand offen. »Die Neuen schlagen sich um
das Wasser«, sagte Bucher. »Mahner hat uns gerettet. Er hat drüben Ordnung
gemacht. Sie stehen jetzt an, um Wasser zu empfangen. Wir müssen es hier auch
tun, sonst schmeißen sie den Eimer wieder um.«
Die Neuen hatten sich erhoben.
»Anstellen«, rief Berger. »Jeder kriegt was. Wir haben für alle. Wer sich nicht
anstellt, kriegt nichts!«
Sie gehorchten bis auf zwei, die vorstürzten. Sie schlugen sie mit Knüppeln
nieder.
Dann holten Ahasver und 509 ihre Becher, und einer nach dem anderen trank. »Laß
uns sehen, ob wir noch was kriegen können«, sagte Bucher zu Rosen und
Sulzbacher, als der Eimer leer war. »Jetzt wird es nicht mehr gefährlich sein.«
»Wir waren dreitausend«, sagte Sulzbacher mechanisch und ohne Sinn.
Die Essenhohler kamen zurück. Sie hatten für die Neuen nichts erhalten. Es
entstand sofort Krach. Vor Sektion A und B prügelten sich die Leute. Die
Stubenältesten dort konnten wenig ausrichten. Sie hatten fast nur Muselmänner,
und die Neuen waren geschickter und noch nicht so ergeben.
»Wir müssen etwas abgeben«, sagte Berger leise zu 509.
»Höchstens Suppe. Kein Brot. Wir brauchen es mehr als sie. Wir sind schwächer.«
»Deshalb müssen wir ihnen etwas abgeben. Sie nehmen es sich sonst selbst. Du
siehst es drüben.«
»Ja, aber nur Suppe. Das Brot brauchen wir selbst. Laß uns mit dem sprechen,
der Sulzbacher heißt.«
Sie holten ihn. »Hör zu«, sagte Berger. »Wir haben nichts für euch bekommen
heute Abend. Aber wir werden unsere Suppe mit euch teilen.«
»Danke«, erwiderte Sulzbacher.
»Was?«
»Danke.«
Sie sahen ihn verwundert an. Es war im Lager nicht üblich, zu danken. »Kannst
du uns dabei helfen?« fragte Berger. »Sonst schmeißen eure Leute wieder alles
um, und diesmal gibt es nichts Neues. Ist noch jemand da, der zuverlässig ist?«
»Rosen. Und die zwei neben ihm.«
Die Veteranen und die vier Neuen gingen den Essenhohlern entgegen und
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