E.M. Remarque
können.
»Die Toten zum Krematoriumshof. Die Bewußtlosen mitnehmen.«
»Zu Befehl.« Der Zug formierte sich und begann sich zu bewegen, den Weg
hinunter zu den Baracken.
»Bruno! Bruno!«
Neubauer fuhr herum. Seine Frau kam vom Eingangstor her über den Platz. Sie war
fast hysterisch. »Bruno! Wo bist du? Ist was passiert? Hast du ...«
Sie sah ihn und stoppte. Ihre Tochter folgte ihr. »Was macht ihr hier?« fragte
Neubauer sehr wütend, aber leise, weil Weber gerade in der Nähe war. »Wie seid
ihr hier hereingekommen?«
»Der Posten. Er kennt uns doch! Du kamst nicht wieder, und da dachte ich, dir
sei etwas passiert. Alle diese Menschen ...«
Selma sah sich um, als erwache sie. »Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt in
meiner Dienstwohnung bleiben?« fragte Neubauer, immer noch leise. »Habe ich
euch nicht verboten, hier hereinzukommen?«
»Vater«, sagte Freya. »Mutter war außer sich vor Angst. Diese große Sirene, so
dicht bei ...«
Der Transport bog in die Hauptstraße ein. Er kam dicht an den dreien vorbei.
»Was ist denn das?« flüsterte Selma.
»Das? Gar nichts! Ein Transport, der heute angekommen ist.«
»Aber ...«
»Kein Aber! Was habt ihr hier zu suchen? 'raus!« Neubauer drängte seine Frau
und seine Tochter beiseite. »Los! Vorwärts!«
»Wie die aussehen!« Selma starrte auf die Gesichter, die durch einen
Mondstreifen zogen.
»Aussehen? Das sind Gefangene! Vaterlandsverräter! Wie sollen sie schon
aussehen? Wie Kommerzienräte?«
»Und die sie da tragen, die ...«
»Jetzt habe ich genug!« schnauzte Neubauer. »Das fehlt mir noch! Zimperliches
Gerede! Die Leute sind heute hier angekommen. Wir haben nichts damit zu tun,
wie sie aussehen. Im Gegenteil! Sie sollen hier aufgefüttert werden. Stimmt das
nicht, Weber?«
»Jawohl, Obersturmbannführer.« Weber streifte Freya mit einem leicht amüsierten
Blick und ging weiter.
»Da habt ihr es. Und nun 'raus! Verboten, hier zu sein. Dies ist kein Zoo!«
Er schob die Frauen weiter. Er hatte Angst, Selma könnte etwas Gefährliches
sagen.
Man mußte nach allen Seiten hin aufpassen. Keiner war zuverlässig, auch Weber
nicht. Verdammt, daß Selma und Freya gerade heraufkommen mußten, als der
Transport da war! Er hatte vergessen, ihnen zu sagen, sie sollten in der Stadt
bleiben.
Selma wäre aber sicher trotzdem nicht geblieben, als der Alarm kam. Der Teufel
mochte wissen, warum sie so nervös war.
Stattliche Frau, anderweitig. Aber wenn eine Sirene loslegte – wie ein
blutarmer Backfisch.
»Die Wache werde ich mir mal vornehmen! Euch einfach 'reinzulassen! So was!
Nächstens läßt sie jedermann 'rein!«
Freya drehte sich um. »Es werden nicht viele 'rein wollen.«
Neubauer stockte der Atem einen Moment. Was war das?
Freya? Sein eigenes Fleisch und Blut? Sein Augapfel?
Revolution! Er sah in Freyas ruhiges Gesicht. Sie konnte es nicht so gemeint
haben. Nein, sie hatte es harmlos gemeint. Er lachte unvermittelt. »Na, das
weiß ich noch nicht. Diese hier, dieser Transport, die haben gebettelt, hier
bleiben zu dürfen. Gebettelt! Geweint! Was meinst du, wie die in zwei, drei
Wochen aussehen werden? Nicht wiederzuerkennen! Wir sind hier das beste Lager
in ganz Deutschland. Bekannt dafür. Ein Sanatorium.«
Vor dem Kleinen Lager waren noch zweihundert Mann des Transports übrig. Es
waren die Schwächsten. Sie stützten sich gegenseitig. Sulzbacher und Rosen
waren dabei. Die Blocks standen angetreten draußen. Sie wußten, daß Weber
selbst die Einteilung kontrollierte. Berger hatte deshalb 509 und Bucher zum
Essenholen geschickt; er hatte vermeiden wollen, daß der Lagerführer sie sah;
aber sie waren von der Küche zurückgeschickt worden. Essen sollte erst verteilt
werden, nachdem der Transport eingerückt
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