E.M. Remarque
dem Café. In Sekunden war ein Polizist
da, ein paar Algerier gestikulierten, ein Mädchen schimpfte, Zeitungsjungen
rannten und schrien.
»Komm«, sagte
Lillian. »In meinem Zimmer ist noch Wein.«
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U nd
wann
schicken Sie sie?« fragte Lillian.
Die Verkäuferin bei
Balenciaga lächelte. »So bald wie möglich.«
»In einer Woche?«
»In zwei Wochen. Es
sind schwierige Kleider. Wir können sie nicht schneller machen. Wir fangen
heute an.« Die Verkäuferin trug die Maße ein. »Sie sind etwas dünner geworden,
Madame.«
»Das ist wahr. Ich
kann tun, was ich will, ich nehme nicht zu.«
»Welch ein Glück!«
»Ja«, sagte
Lillian. »Für manche Leute wäre das wirklich ein Glück.«
Sie trat auf die
Avenue George-V. hinaus. Der Nachmittag empfing sie mit Gold und Wind und
Automobilen. Sie blieb einen Augenblick stehen und dachte über die Kleider
nach, die sie bestellt hatte. Sie hatte eigentlich überhaupt keine mehr kaufen
wollen, weil sie geglaubt hatte, für ihr Leben genug zu haben, aber Clerfayt
hatte sie aufs neue gedrängt, ihr eines zu schenken, und dann hatte sie
schließlich noch das für Venedig dazu genommen; – die Blutung dort hatte
sie wahrscheinlich Tage und Woche ihres Lebens gekostet, und anstatt darüber in
Schwermut, Anklagen und Reue zu versinken, erschien es ihr einfacher, sich zu
sagen, daß sie dadurch auch weniger Geld für ihren Unterhalt brauchen würde und
sich deshalb ein Kleid mehr kaufen könne. Sie hatte es mit besonderer Sorgfalt
ausgesucht. Anfangs hatte sie ein dramatisches haben wollen, aber dann war es
das einfachste von allen geworden, die sie besaß. Dramatisch wurde dafür das,
was Clerfayt ihr geschenkt hatte – es war ein einziger Protest gegen
Toulouse und das, was sie sich darunter vorstellte.
Sie lächelte sich
im Spiegel eines Schaufensters zu. In manchen Dingen konnte man gar nicht
oberflächlich genug sein, dachte sie. Und Kleider konnten ein größerer
moralischer Halt sein als aller Anspruch auf Recht, mehr als alles Mitleid und
alles Verständnis, alle Beichtväter, alle Weisheit, alle verräterischen Freunde
und selbst der Geliebte. Das war keine Frivolität, sondern einfach Wissen um
den Trost und die große Wirkung der kleinen Dinge.
Es war gut, wenn
man das wußte, dachte Lillian, und für sie fast nur noch das einzige. Sie hatte
keine Zeit mehr für die großen Rechtfertigungen und nicht einmal welche mehr
für Rebellionen. Sie hatte die eine gemacht, die sie wollte, und sie begann
manchmal bereits daran zu zweifeln – jetzt konnte sie nur noch ihre
Rechnung mit dem Schicksal machen.
Sie wußte, daß man
all das, womit sie sich täuschte und tröstete, auch als ziemlich billige Tricks
auffassen konnte; aber sie war bereits so weit jenseits der ehrenwerten großen
Tricks, mit denen der Mensch sein Dasein erträglich zu machen versucht, daß die
Größenunterschiede für sie nicht mehr existierten. Außerdem schien ihr, es
brauche ebensoviel, wenn nicht mehr Disziplin, Mut und Überwindung, an die
kleinen Tricks für den Augenblick zu glauben und sie zu genießen, als an die
andern, die große Namen hatten. So kaufte sie ihre Kleider und empfand dabei
denselben Trost wie ein anderer mit aller Philosophie der Welt, genauso wie sie
ihre Liebe zu Clerfayt und zum Leben bewußt miteinander verwechselte und sie in
die Luft warf und wieder auffing und daran glaubte und trotzdem wußte, daß sie
einmal zerschellen mußte. Mit einem Ballon konnte man fliegen, bis er
sank – aber man konnte keine Häuser daranhängen. Und wenn er sank, war er
ein toter Lappen Stoff – kein Ballon mehr.
Sie
traf den
Vicomte de Peystre, als sie bei Fouquet in die Champs-Elysées einbog. Er
stutzte, als er sie sah.
»Wie glücklich Sie
aussehen!« sagte
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