E.M. Remarque
werden. Das liegt an Ihnen.«
Sie gab keine
Antwort. Sie sah den Mann nicht mehr. Ihre Augen ließen ihn fallen. Er wußte
nichts von Clerfayt. »Weiter!« sagte sie zu dem Kutscher. »Schneller!«
»Diese Kavaliere
haben alle kein Geld«, erklärte der Kutscher. »Sie hatten recht, ihn
abzuweisen. Wer weiß, vielleicht hätten Sie noch das Diner bezahlen müssen.
Ältere Herren sind zuverlässiger.«
»Schneller!« sagte
Lillian.
»Sehr wohl!«
Es dauerte endlos,
bis sie vor dem Hospital hielten. Lillian hatte viele Gelübde in der
Zwischenzeit getan, von denen sie glauben wollte, daß sie sie halten würde. Sie
wollte nicht abreisen, sie wollte bleiben, sie wollte Clerfayt heiraten, er
sollte nur leben! Sie machte diese Gelübde und ließ sie wie Steine in einen
Teich sinken, ohne darüber nachzudenken.
»Herr Clerfayt ist
im Operationszimmer«, sagte die Empfangsschwester.
»Können Sie mir
sagen, wie er verletzt ist?«
»Ich bedauere. Sind
Sie Madame Clerfayt?«
»Nein.«
»Verwandt?«
»Was hat das damit
zu tun?«
»Nichts,
Mademoiselle. Ich bin nur sicher, daß nach einer Operation höchstens die
nächsten Verwandten einen Augenblick zugelassen werden.«
Lillian starrte die
Schwester an. Sollte sie sagen, daß sie mit Clerfayt verlobt sei? Wie absurd
das war! »Muß er operiert werden?« fragte sie.
»Es scheint so;
sonst wäre er nicht im Operationszimmer.«
Eine von denen, die
mich nicht leiden können, dachte Lillian irritiert. Sie hatte Erfahrung mit
Schwestern.
»Kann ich warten?«
fragte sie.
Die Schwester wies
auf eine Bank. »Haben Sie kein Wartezimmer?« fragte Lillian.
Die Schwester
deutete zu einer Tür. Sie ging in ein Zimmer, in dem müde Blattpflanzen
standen, alte Magazine herumlagen und Fliegen einen Fliegenfänger umsummten,
der von der Decke über den Tisch hing. Der Lärm der Motoren war auch hier zu
hören, gedämpft, wie fernes, rasendes Trommeln, aber er war da.
Die Zeit wurde
klebrig wie der Fliegenfänger, auf dem die Fliegen einen langsamen Foltertod
starben. Lillian starrte auf die abgegriffenen Magazine, sie öffnete und schloß
sie, sie versuchte zu lesen und konnte es nicht, sie stand auf und ging ans
Fenster und setzte sich wieder. Das Zimmer roch nach Angst, nach all der Angst,
die in ihm schon ausgestrahlt worden war. Sie versuchte, das Fenster zu öffnen,
aber sie schloß es wieder, weil das Grollen der Motoren sofort stärker
hineindrang. Nach einer Weile kam eine Frau mit einem Kind herein. Das Kind
begann zu schreien, die Frau öffnete ihre Bluse und ließ es trinken. Das Kind
schmatzte und schlief ein. Die Frau lächelte scheu zu Lillian hinüber und
knöpfte ihre Bluse wieder zu.
Ein paar Minuten
später öffnete die Schwester die Tür. Lillian stand auf, aber die Schwester
beachtete sie nicht; sie nickte der Frau mit dem Kind zu, mit ihr zu kommen.
Lillian setzte sich wieder. Plötzlich horchte sie auf. Irgend etwas hatte sich
verändert. Sie fühlte es im Nacken. Eine Spannung hatte nachgelassen; etwas war
lose geworden. Es dauerte eine Weile, bevor sie merkte, daß es die Stille war.
Der Lärm der Motoren hatte aufgehört. Das Rennen war vorüber.
Eine Viertelstunde
später sah sie einen offenen Wagen mit dem Rennleiter und zwei Monteuren
herankommen und halten. Die Empfangsschwester brachte sie in das Wartezimmer.
Bedrückt standen sie herum.
»Haben Sie etwas
erfahren?« fragte Lillian.
Der Rennleiter wies
auf den jüngeren Monteur. »Er war da, als man ihn losmachte.«
»Er blutete aus dem
Mund«, sagte der Monteur.
»Aus dem Mund?«
»Ja. Es war wie ein
Blutsturz.«
Lillian sah den
Mann an. Was war das für ein grauenhafter Irrtum? Ein Blutsturz gehörte zu ihr,
nicht zu Clerfayt. »Wie konnte er
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