E.M. Remarque
auf dem Wege zum Lager; vielleicht hatte man ihn dahin
gebracht. Er würde auf einer Bahre liegen, die Schulter verletzt oder den Arm,
wie bei der Targa Florio, und über sein Unglück lachen.
»Er ist ins
Hospital gebracht worden«, sagte der Rennleiter schwitzend. »Heilige Mutter
Gottes, heiliger Christopherus, warum das gerade uns! Warum nicht der
Konkurrenz oder – was? Einen Moment!« Er stürzte weg, um zu signalisieren.
Die Wagen schossen vorbei, sie sahen so nahe größer und gefährlicher aus, und
ihr Donnern füllte alles aus. »Was ist geschehen?« rief Lillian. »Lassen Sie
Ihr verdammtes Rennen zum Teufel gehen und sagen Sie mir, was geschehen ist!«
Sie blickte sich
um. Niemand sah sie an. Die Monteure beschäftigten sich mit Ersatzteilen und
Reifen und vermieden es, aufzublicken. Wenn sie sich jemand näherte, rückte er
weg. Es war, als hätte sie die Pest.
Der Rennleiter kam
endlich zurück. »Es hilft Clerfayt nicht, ob ich das Rennen zum Teufel gehen
lasse oder nicht«, sagte er heiser. »Er würde es auch nicht wollen. Er würde
wollen ...«
Lillian unterbrach
ihn. »Wo ist er? Ich will keine Predigt über den Ehrenkodex der Rennfahrer!«
»Im Hospital. Man
hat ihn sofort ins Hospital gebracht.«
»Warum ist niemand
bei ihm, um ihm zu helfen? Sie nicht? Warum sind Sie hier?«
Der Rennleiter sah
sie verständnislos an. »Wie soll ich ihm denn helfen? Oder irgend jemand hier?
Das müssen doch jetzt die Ärzte tun.«
Lillian schluckte.
»Was ist ihm passiert?« fragte sie leise.
»Das weiß ich
nicht. Ich habe ihn nicht gesehen. Wir waren alle hier. Wir mußten doch hier
bleiben.«
»Ja«, sagte
Lillian. »Damit das Rennen weitergeht.«
»Das ist nun einmal
so«, erwiderte der Rennleiter hilflos. »Wir sind alle nur Angestellte.«
Ein Monteur kam
eilig heran. Das Grollen der Wagen schwoll gerade an. »Signorina –«, der
Rennleiter spreizte seine Hände und sah zur Bahn. »Ich muß ...«
»Ist er tot?«
fragte Lillian.
»Nein, nein!
Bewusstlos. Die Ärzte – ich muß leider, Signorina ...«
Der Rennleiter
griff ein Schild von einer Kiste und stürzte fort, um seine Zeichen zu geben.
Lillian hörte ihn schreien: »Madonna, Madonna, warum das mir, verfluchtes Öl,
verdammtes, verfluchtes Öl!« Er hielt sein Schild irgend jemand hin, winkte,
hielt eine Hand hoch und blieb stehen, obschon die Herde vorbei war, und
starrte angestrengt auf die Straße und wollte nicht zurück.
Lillian wandte sich
langsam zum Gehen. »Wir kommen – nach dem Rennen, Signorina«, flüsterte
einer der Monteure. »Sofort nach dem Rennen!«
Der
schwarze
Baldachin des Lärms hing weiter über der Stadt, als sie zum Hospital fuhr. Sie
hatte nur eine der Pferdedroschken gefunden, die mit Fahnen, bunten Bändern und
einem Strohhut für den Pferdekopf aufgeputzt waren. »Es dauert länger als
sonst, Mademoiselle«, erklärte ihr der Kutscher. »Wir müssen weit herumfahren.
Die Straßen sind abgesperrt. Das Rennen, Sie verstehen ...«
Lillian nickte. Sie
saß, eingehüllt in Schmerz, der kein Schmerz zu sein schien, sondern eine
dumpfe Qual, die durch Betäubungsmittel abgeschwächt worden war. Nichts
funktionierte in ihr ganz, nur die Ohren und die Augen, die die Motoren hörten
und die Wagen sahen, klar, überscharf und kaum ertragbar. Der Kutscher
schwätzte und wollte ihr die Aussichtspunkte zeigen. Sie hörte es nicht; sie
hörte nur die Motoren. Jemand versuchte, die Droschke anzuhalten und sie
anzusprechen. Sie verstand nicht, was er sagte, und ließ halten. Sie dachte, er
hätte eine Nachricht von Clerfayt. Der Mann, ein Italiener in weißem Anzug mit
einem dünnen schwarzen Schnurrbart, lud sie zum Abendessen ein. »Was?« fragte
sie verständnislos. »Was sonst?«
Der Mann lächelte.
»Es kann mehr
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