E.M. Remarque
rollten vorbei und hielten vor dem Kasino, die üblichen
Rundfahrtomnibusse kamen, und Scharen von Touristen versammelten sich um ihre
Führer, mit denen sie gehorsam durch die Spielsäle wanderten. Lillian schreckte
auf, als ein Mann sich zu ihr an den Tisch setzte. Sie trank ihren Kaffee aus
und stand auf. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Sie versuchte sich zu
erklären, daß sie ohne den Unfall morgen auch allein gewesen wäre, in Paris
oder auf dem Weg in die Schweiz. Es half nichts; das Loch neben ihr in der Erde
war da, es führte in einen Abgrund ohne Boden und es war nicht wegzudenken.
Clerfayt war tot; das war etwas anderes, als daß sie nicht mehr zusammen
gewesen wären. Sie fand eine Bank, von der sie aufs Meer sehen konnte. Sie
hatte das Gefühl, viele dringenden Dinge tun zu müssen; aber sie konnte sich
nicht entschließen. Clerfayt, nicht ich! Sie hatte zu sterben, nicht er. Was
war das für eine grausige Ironie.
Sie
kam zurück
ins Hotel und ging in ihr Zimmer, ohne mit jemand zu sprechen. An der Tür blieb
sie stehen. Tote Luft schlug ihr entgegen; alles im Zimmer schien mitgestorben
zu sein.
Sie erinnerte sich
daran, daß der Portier Clerfayts Papiere verlangt hatte. Sie wußte nicht, wo
sie waren, und es graute ihr davor, in Clerfayts Zimmer zu gehen. Sie wußte vom
Sanatorium her, daß es oft schwerer war, die nachgelassenen Sachen eines Toten
zu sehen als den Toten selbst.
Sie sah, daß ein
Schlüssel in der Tür steckte und nahm an, daß das Zimmermädchen saubermachte.
Das war besser, als allein hineinzugehen. Sie öffnete die Tür.
Eine hagere Frau in
einem grauen Schneiderkostüm blickte vom Schreibtisch auf. »Was möchten Sie?«
Lillian glaubte, in
ein falsches Zimmer geraten zu sein. Dann sah sie Clerfayts Mantel hängen. »Wer
sind Sie?« fragte sie.
»Ich glaube, das
könnte ich eher Sie fragen«, erwiderte die Frau scharf. »Ich bin die Schwester
Clerfayts. Und was wollen Sie? Wer sind Sie?«
Lillian schwieg.
Clerfayt hatte ihr einmal erzählt, er habe irgendwo eine Schwester, die er
hasse und die ihn hasse. Er habe seit vielen Jahren nichts von ihr gehört. Es
mußte diese Frau sein. Sie ähnelte Clerfayt in nichts. »Ich wußte nicht, daß
Sie angekommen sind«, sagte Lillian. »Nun, da Sie da sind, habe ich hier nichts
mehr zu tun.«
»Zweifellos nicht«,
erwiderte die Frau frostig. »Mir wurde gesagt, daß mein Bruder hier mit
irgendeiner Person zusammengelebt habe. Sind Sie das?«
»Auch das braucht
Sie nicht mehr zu interessieren«, sagte Lillian und drehte sich um.
Sie ging hinaus und
zurück in ihr Zimmer. Sie begann zu packen, aber sie hörte bald auf. Ich kann
nicht wegfahren, solange er noch hier ist, dachte etwas in ihr. Ich muß bleiben,
bis er begraben ist.
Sie ging noch
einmal zum Hospital; die Empfangsschwester erklärte ihr, daß sie Clerfayt nicht
mehr sehen könne; eine Obduktion werde auf Wunsch eines Mitgliedes der Familie
vorgenommen. Danach würde der Körper in einen Zinksarg verlötet und
fortgeschickt werden.
Vor dem Hospital
traf sie den Rennleiter. »Wir fahren heute abend ab«, sagte er. »Haben Sie das
Biest mit den großen Zähnen gesehen? Die Schwester? Sie läßt ihn zerschneiden.
Sie will gegen die Firma und gegen die Rennleitung auf Schadenersatz wegen
Nachlässigkeit klagen. Sie war schon bei der Polizei. Sie kennen doch unsern
Direktor. Sie war auch bei ihm. Er hat vor niemand Angst, aber er war blaß, als
das Weib nach einer halben Stunde herauskam. Sie verlangt eine Rente auf
Lebenszeit. Behauptet, Clerfayt sei ihr einziger Ernährer gewesen. Wir fahren
alle ab. Fahren auch Sie ab! Es ist vorbei.«
»Ja«, erwiderte
Lilian. »Es ist vorbei.«
Sie ging planlos in
den Straßen herum; sie saß an Tischen und trank
Weitere Kostenlose Bücher