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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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schüt­te­te sie in das kno­chi­ge
Ge­sicht. Sie woll­te nur eins: die­se har­te, un­er­träg­li­che Stim­me zum Schwei­gen
brin­gen. Die Blu­men wa­ren schon welk und hin­gen im Haar und auf den Schul­tern
der Schwes­ter, als sei sie ei­nem Tüm­pel ent­stie­gen.
    Die Frau wisch­te
sich das Was­ser aus den Au­gen. »Das wer­den Sie bü­ßen!« zisch­te sie.
    »Ich weiß«,
er­wi­der­te Lil­li­an. »Schi­cken Sie mir die Rech­nung für den Coif­feur, für das
Kleid si­cher­lich auch, wahr­schein­lich auch für Ih­re Schu­he, Ihr Un­ter­zeug, Ihr
fer­ne­res Le­ben und Ih­re er­schreck­te, guss­ei­ser­ne See­le! Und nun ge­hen Sie
end­lich!«
    Die Schwes­ter
ent­schwand. Lil­li­an blick­te auf die Glas­scha­le, die sie noch in der Hand hielt.
Sie hat­te nicht ge­wußt, daß sie zu sol­chen Ge­waltak­ten fä­hig sei. Gott sei
Dank, daß ich die Scha­le nicht mit­ge­wor­fen ha­be, dach­te sie und be­gann
plötz­lich zu la­chen und konn­te nicht auf­hö­ren, und dann ka­men die Trä­nen, und
mit den Trä­nen kam end­lich die Er­lö­sung von der Star­re.
    Der Por­tier hielt
sie in der Hal­le an. »Ei­ne pein­li­che Sa­che, Ma­da­me.«
    »Was denn noch?«
    »Sie ha­ben mich
be­auf­tragt, einen Sarg und ei­ne Grab­stel­le auf dem Fried­hof zu be­stel­len. Die
Schwes­ter von Herrn Cler­fa­yt hat so­fort bei ih­rem Ein­tref­fen auf Kos­ten der
Au­to­fir­ma eben­falls einen Sarg be­stellt und lie­fern las­sen. Jetzt ist der
Ih­ri­ge üb­rig.«
    »Kön­nen Sie ihn
nicht zu­rück­ge­ben?«
    »Der Ver­tre­ter der
Fir­ma in Niz­za er­klärt, der Sarg sei ei­ne Spe­zi­al­be­stel­lung ge­we­sen. Er könn­te
ihn zu­rück­neh­men, aus Ge­fäl­lig­keit, aber nicht zum sel­ben Preis.«
    Lil­li­an blick­te ihn
hilf­los an. Ein gro­tes­kes Bild stand plötz­lich vor ihr – daß sie mit ei­nem
lee­ren Sarg in ir­gend­ein Sa­na­to­ri­um im Ge­bir­ge zu­rück­fah­ren wür­de, wäh­rend die
Schwes­ter Cler­fa­yts die zer­stückel­ten Res­te in ei­nem zwei­ten Sarg in ein
Fa­mi­li­en­be­gräb­nis ent­führ­te.
    »Ich ha­be der Da­me
vor­ge­schla­gen, Ih­ren Sarg für Herrn Cler­fa­yt zu neh­men«, sag­te der Por­tier.
»Sie woll­te es nicht. Die Da­me ist sehr strikt. Sie läßt auch ih­re Ho­tel­kos­ten
der Au­to­fir­ma in Rech­nung stel­len. Vol­le Pen­si­on na­tür­lich, und ges­tern abend
zwei Fla­schen Château La­fi­te 1929. Der bes­te Wein, den wir ha­ben. Der Ver­tre­ter
der Sarg­fir­ma wür­de den Sarg zu­rück­neh­men für den hal­b­en Preis.«
    »Gut«, er­wi­der­te
Lil­li­an. »Und ma­chen Sie mei­ne Rech­nung fer­tig. Ich rei­se heu­te abend ab.«
    »Sehr wohl. Dann
ist da noch die Sa­che mit der Grab­stel­le. Sie brau­chen sie jetzt nicht mehr,
aber ich ha­be sie schon für Sie be­zahlt. Es ist schwie­rig, da heu­te et­was zu
tun. Es ist Sams­tag. Vor Mon­tag ist nie­mand im Bü­ro.«
    »Ster­ben sams­tags
und sonn­tags hier kei­ne Men­schen?«
    »Doch. Man kauft
die Grä­ber dann am Mon­tag.«
    »Schrei­ben Sie den
Preis auf mei­ne Rech­nung.«
    »Wol­len Sie die
Grab­stel­le denn be­hal­ten?« frag­te der Por­tier un­gläu­big.
    »Ich weiß es nicht;
ich will nicht mehr dar­über re­den. Schrei­ben Sie auf, was Sie be­zahlt ha­ben.
Schrei­ben Sie al­les auf. Aber ich will nichts mehr da­von hö­ren! Nichts mehr!
Ver­ste­hen Sie das nicht?«
    »Sehr wohl,
Ma­da­me.«
    Lil­li­an ging in ihr Zim­mer
zu­rück. Das Te­le­fon klin­gel­te. Sie nahm es nicht ab. Sie pack­te den Rest ih­rer
Sa­chen zu­sam­men. In ih­rer Ta­sche fand sie das Fahr­schein­heft nach Zü­rich. Sie
blick­te auf das Da­tum. Der Zug fuhr am sel­ben Abend.
    Das Te­le­fon
klin­gel­te wie­der. Als es schwieg, pack­te sie ei­ne pa­nik­ar­ti­ge Furcht. Ihr war,
als sei mehr ge­stor­ben als Cler­fa­yt – als sei al­les ge­stor­ben, was sie
ge­kannt ha­be. Bo­ris auch, dach­te sie. Wer wuß­te, was mit ihm ge­sche­hen war?
Viel­leicht war auch er längst tot, und nie­mand hat­te es ihr sa­gen kön­nen, weil
nie­mand ih­re Adres­se ge­wußt hat­te oder es ihr sa­gen woll­te.
    Sie griff nach dem
Te­le­fon, aber sie ließ die Hand wie­der sin­ken. Sie konn­te ihn nicht an­ru­fen.
Nicht jetzt. Er wür­de sie nicht

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