E.M. Remarque
in
Europa kein anständiges Steak, ja nicht einmal ein erträgliches Hamburger Steak
bekomme. Selbst die Wiener Würstchen seien in Wisconsin besser.
Lillian saß ohne
Gedanken da, in einer Erschöpfung, von der sie nicht mehr wußte, ob sie Trauer
oder Leere oder Ergebung sei.
Sie sah den Hund,
ohne ihn zu erkennen. Das Tier lief im Bogen über den Platz, schnupperte an ein
paar Frauen, blieb stehen und stürzte dann auf sie zu. Der Amerikaner sprang
auf.
»Ein tollwütiger
Hund!« rief er. »Polizei! Erschießt ihn!«
Der Schäferhund
lief an ihm vorbei und sprang an Lillian hoch. Er warf sie fast von der Bank,
er leckte ihre Hände und versuchte, ihr Gesicht zu lecken, er jaulte und heulte
und bellte so, daß ein Kreis von erstaunten Menschen sie umstand. »Wolf«, sagte
sie ungläubig. »Wolf! Woher kommst du denn?«
Der Hund ließ von
ihr ab und schoß auf die Menge zu, die sich sofort teilte. Er lief auf einen
Mann los, der rasch herankam, und kehrte dann wieder zu Lillian zurück.
Sie war
aufgestanden. »Boris!« sagte sie.
»Wir haben dich
also doch noch gefunden«, sagte Wolkow. »Der Portier im Hotel erzählte mir, du
wärest bereits am Bahnhof. Es war hohe Zeit, wie es scheint! Wer weiß, wo ich
dich später hätte suchen müssen.«
»Du lebst!«
flüsterte Lillian. »Ich habe dich angerufen. Jemand sagte mir, du wärest
abgereist. Ich habe gedacht ...«
»Das war Frau
Bliss. Sie ist die neue Haushälterin. Frau Escher hat noch einmal geheiratet.«
Wolkow hielt den Hund fest. »Ich habe in der Zeitung gelesen, was passiert ist;
deshalb bin ich gekommen. Ich wußte nicht, in welchem Hotel du wohntest, sonst
hätte ich telefoniert.«
»Du lebst!« sagte
sie noch einmal.
»Und du lebst,
Duscha! Alles andere ist unwichtig.«
Sie sah ihn an. Sie
verstand sofort, was er meinte – daß alles andere, aller verwundete Stolz,
aller gekränkte Egoismus weggeschwemmt wurde von dieser einen, trostvollen,
letzten Tatsache: daß der geliebte Mensch nicht tot war, daß er noch lebte, daß
er da war und noch atmete, ganz gleich, wo seine Gefühle waren oder was
geschehen war. Boris war nicht aus Schwäche oder Mitleid gekommen; er war aus
dieser blitzhaften letzten Erkenntnis gekommen, der einzigen, die ihm übrig
geblieben war, der einzigen, die immer am Ende übrig blieb, die alles aufhob
und deren man sich nur fast immer zu spät bewußt wurde.
»Ja, Boris«, sagte
sie. »Alles andere ist unwichtig.«
Er blickte auf das
Gepäck. »Wann fährt dein Zug?«
»In einer Stunde.
Lass ihn fahren.«
»Wohin wolltest
du?«
»Irgendwohin. Nach
Zürich. Es ist gleichgültig, Boris.«
»Dann lass uns hier
weggehen. Zieh in ein anderes Hotel. Ich habe in Antibes ein Zimmer reservieren
lassen. Im Hotel du Cap. Wir können noch eins dazu bekommen. Soll ich das
Gepäck dahin schicken lassen?«
Lillian schüttelte
den Kopf. »Lass es hier«, sagte sie mit plötzlichem Entschluß. »Der Zug fährt
in einer Stunde; lass uns abfahren. Ich will nicht hier bleiben. Und du mußt
zurück.«
»Ich muß nicht
zurück«, sagte Wolkow.
Sie sah ihn an.
»Bist du geheilt?«
»Nein. Aber ich muß
nicht zurück. Ich kann mit dir fahren, wohin du willst. So lange du willst.«
»Aber ...«
»Ich habe dich
damals verstanden«, sagte Wolkow. »Mein Gott, Duscha, und wie ich verstanden
habe, daß du wegwolltest.«
»Warum bist du dann
nicht mit mir gegangen?«
Wolkow schwieg. Er
wollte sie nicht an das erinnern, was sie gesagt hatte. »Wärest du mit mir
gegangen?« fragte er schließlich.
»Nein, Boris«,
erwiderte sie. »Das ist wahr. Damals nicht.«
»Du wolltest die
Krankheit nicht mitnehmen. Du wolltest ihr entkommen.«
»Ich weiß es nicht
mehr. Vielleicht war es so. Es ist so lange her.«
»Willst du wirklich
heute noch fahren?«
»Ja.«
»Hast du ein Bett?«
»Ja,
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