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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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Or­chi­de­en die­ser Art gab
es nicht auf Vor­rat im Dorf. Sie hat­te selbst da­nach ge­sucht und sie nicht
ge­fun­den und sie dann aus Zü­rich kom­men las­sen. Sie zähl­te die Blü­ten. Die Zahl
stimm­te. Dann sah sie, daß an der un­ters­ten Blü­te ein Blatt fehl­te, und sie
er­in­ner­te sich, das be­merkt zu ha­ben, als das Pa­ket aus Zü­rich an­ge­kom­men war.
Es war kein Zwei­fel mehr mög­lich – die Blu­men, die auf dem Tep­pich vor ihr
la­gen, wa­ren die­sel­ben, die sie auf den Sarg Agnes So­mer­vil­les ge­legt hat­te.
    Ich wer­de
hys­te­risch, dach­te sie. Dies al­les muß sich er­klä­ren las­sen; es sind kei­ne
Geis­ter­blu­men, die sich ma­ni­fes­tiert ha­ben, je­mand muß sich einen scheuß­li­chen
Spaß mit mir ge­macht ha­ben, aber warum? Und wie? Wie ka­men die­se Or­chi­de­en
wie­der hier­her? Und was soll­te die­ser Hand­schuh da­ne­ben, der wie ei­ne to­te,
schwarz­ge­wor­de­ne Hand aus­sah, die dro­hend durch den Bo­den griff, als wä­re er
das Sym­bol ei­ner Geis­ter­ma­fia?
    Sie ging um den
Zweig her­um, als wä­re er wirk­lich ei­ne Schlan­ge. Die Blü­ten schie­nen kei­ne
Blü­ten mehr zu sein; die Be­rüh­rung mit dem To­de hat­te sie un­heim­lich ge­macht,
und das Weiß war wei­ßer als al­les, was sie je ge­se­hen hat­te. Rasch öff­ne­te sie
die Tür zu ih­rem Bal­kon, faß­te vor­sich­tig das Sei­den­pa­pier und mit ihm den
Zweig und warf bei­des über den Bal­kon nach drau­ßen. Den Kar­ton warf sie
hin­ter­her. Sie horch­te einen Au­gen­blick in den Ne­bel. Fer­ne Stim­men und Ge­läu­te
von Schlit­ten ka­men hin­durch. Sie ging zu­rück und sah den Hand­schuh auf dem
Bo­den. Sie er­kann­te ihn jetzt und er­in­ner­te sich, ihn ge­tra­gen zu ha­ben, als
sie mit Cler­fa­yt in der Pa­lace Bar ge­we­sen war. Cler­fa­yt, dach­te sie, was hat­te
er da­mit zu tun? Sie muß­te es er­fah­ren! So­fort!
    Es dau­er­te ei­ne
Wei­le, be­vor er zum Te­le­fon kam.
    »Ha­ben Sie mir
mei­nen Hand­schuh zu­rück­ge­schickt?« frag­te sie.
    »Ja. Sie hat­ten ihn
in der Bar ver­ges­sen.«
    »Sind die Blu­men
auch von Ih­nen? Die Or­chi­de­en?«
    »Ja. Ha­ben sie
mei­ne Kar­te nicht be­kom­men?«
    »Ih­re Kar­te?«
    »Ha­ben Sie sie
nicht ge­fun­den?«
    »Nein!« Lil­li­an
schluck­te. »Noch nicht. Wo­her ha­ben Sie die Blu­men?«
    »Aus ei­nem
Blu­men­ge­schäft«, er­wi­der­te Cler­fa­yt er­staunt. »Warum?«
    »Hier im Dorf?«
    »Ja, aber warum?
Sind sie ge­stoh­len?«
    »Nein. Oder
viel­leicht doch. Ich weiß es nicht ...«
    Lil­li­an schwieg.
    »Soll ich
hin­auf­kom­men?« frag­te Cler­fa­yt.
    »Ja.«
    »Wann?«
    »In ei­ner Stun­de;
dann ist es hier still.«
    »Gut, in ei­ner
Stun­de. Am Dienst­bo­ten­ein­gang?«
    »Ja.«
    Lil­li­an leg­te
auf­at­mend den Hö­rer zu­rück. Gott sei Dank, dach­te sie, da war je­mand, dem man
nichts zu er­klä­ren brauch­te. Je­mand, dem man gleich­gül­tig war und der sich
nicht um einen sorg­te wie Bo­ris.
    Cler­fa­yt stand an
der Sei­ten­tür. »Kön­nen Sie kei­ne Or­chi­de­en lei­den?« frag­te er und zeig­te auf
den Schnee.
    Die Blu­men und der
Kar­ton la­gen noch da. »Wo­her ha­ben Sie sie?« frag­te Lil­li­an.
    »Aus ei­nem klei­nen
Blu­men­ge­schäft un­ten – et­was au­ßer­halb des Dor­fes. Warum? Sind sie
ver­hext?«
    »Die­se
Blu­men – die­sel­ben Blu­men«, sag­te Lil­li­an mit Mü­he, »ha­be ich ges­tern auf
den Sarg mei­ner Freun­din ge­legt. Ich ha­be sie noch ge­se­hen, be­vor der Sarg
ab­ge­holt wur­de. Das Sa­na­to­ri­um be­hält kei­ne Blu­men zu­rück. Al­les ist ab­ge­holt
wor­den. Ich ha­be den Haus­knecht so­eben ge­fragt. Al­les ist zum Kre­ma­to­ri­um
ge­schickt wor­den. Ich weiß nicht, wie ...«
    »Zum Kre­ma­to­ri­um?«
frag­te Cler­fa­yt.
    »Ja.«
    »Gu­ter Gott! Das
Ge­schäft, in dem ich die Blu­men ge­kauft ha­be, liegt nicht weit vom Kre­ma­to­ri­um.
Es ist ein schä­bi­ger La­den, und ich ha­be mich schon ge­wun­dert, wo­her die Blu­men
ka­men. Das er­klärt es!«
    »Was?«
    »Ir­gend­ein
An­ge­stell­ter des Kre­ma­to­ri­ums muß sie, an­statt sie mit zu ver­bren­nen,
weg­ge­nom­men und an den La­den ver­kauft ha­ben.«
    Sie starr­te ihn an.
»Ist so et­was denn

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