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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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ge­trun­ken.«
    »Mit Lil­li­an?«
    »Nach­her. Hier oben
merkt man es nicht, wäh­rend man trinkt – da­für aber am nächs­ten Mor­gen.«
    Cler­fa­yt sah sich
im Spei­se­saal um. Es wa­ren nicht vie­le Leu­te da. Die Süd­ame­ri­ka­ner sa­ßen in
ih­rer Ecke. Lil­li­an fehl­te. »Bei die­sem Wet­ter blei­ben die meis­ten im Bett«,
sag­te Holl­mann.
    »Warst du schon
drau­ßen?«
    »Nein. Hast du von
Fer­rer ge­hört?«
    »Er ist tot.«
    Sie schwie­gen ei­ne
Wei­le. Es war nichts da­zu zu sa­gen. »Was machst du heu­te nach­mit­tag?« frag­te
Holl­mann schließ­lich.
    »Schla­fen und
her­um­lau­fen. Küm­me­re dich nicht um mich. Ich bin froh, an ei­nem Platz zu sein,
wo es au­ßer Gi­u­sep­pe fast kein Au­to gibt.«
    Die Tür öff­ne­te
sich. Bo­ris Wol­kow sah her­ein und nick­te Holl­mann zu. Cler­fa­yt igno­rier­te er.
Er kam nicht in das Zim­mer, son­dern schloß die Tür so­fort wie­der. »Er sucht
Lil­li­an«, sag­te Holl­mann. »Weiß der Him­mel, wo sie ist! Sie soll­te in ih­rem
Zim­mer sein.«
    Cler­fa­yt stand auf.
»Ich ge­he schla­fen. Die Luft hier macht mü­de, du hast recht. Kannst du heu­te
abend auf­blei­ben? Hier, zum Es­sen?«
    »Na­tür­lich. Ich
ha­be heu­te kein Fie­ber; und das von ges­tern abend ha­be ich nicht aufs
Kran­ken­blatt ge­schrie­ben. Die Kran­ken­schwes­ter traut mir so weit, daß ich mei­ne
Tem­pe­ra­tur selbst neh­men darf. Auch ei­ne Leis­tung, was? Wie ich Ther­mo­me­ter
has­se!«
    »Al­so bis acht.«
    »Sie­ben. Aber
willst du nicht ein­mal ir­gend­wo an­ders es­sen? Dies hier muß dich doch
lang­wei­len.«
    »Sei nicht al­bern.
Ich ha­be in mei­nem Le­ben viel zu we­nig Ge­le­gen­heit zu ei­ner gu­ten, so­li­den
Vor­kriegs­lan­ge­wei­le ge­habt. So was ist heu­te das sel­te­ne, große Aben­teu­er
un­se­rer Zeit ge­wor­den, vor­be­hal­ten nur noch den Schwei­zern und sonst nie­mand
mehr in Eu­ro­pa. Selbst nicht den Schwe­den; de­ren Wäh­rung ging im­mer­hin mit zum
Teu­fel, wäh­rend die Mensch­heit von al­len Sei­ten ge­ret­tet wur­de. Soll ich dir
et­was aus dem Dorf her­ein­schmug­geln?«
    »Nein. Ich ha­be
al­les da. Heu­te abend ist Bu­den­zau­ber hier bei ei­ner Ita­li­e­ne­rin, Ma­ria Sa­vi­ni.
Heim­lich na­tür­lich.«
    »Gehst du hin?«
    Holl­mann schüt­telt
den Kopf. »Ich ha­be kei­ne Lust. Die­se Art von Bu­den­zau­ber wird im­mer ge­macht,
wenn ei­ner ab­ge­reist ist. Ab­ge­reist heißt ge­stor­ben. Man trinkt und re­det sich
dann neue Cou­ra­ge an.«
    »Al­so ei­ne Art von
Lei­chen­schmaus?«
    »Ja, so ähn­lich.«
Holl­mann gähn­te. »Zeit für die vor­ge­schrie­be­ne Sies­ta. Lie­ge­kur oh­ne Spre­chen.
Für mich auch. Bis heu­te abend, Cler­fa­yt.«
    Der
Hus­ten
hat­te auf­ge­hört. Lil­li­an Dun­ker­que leg­te sich er­schöpft zu­rück. Das Mor­gen­op­fer
war ge­bracht; der Tag war be­zahlt. Der vor­her­ge­hen­de Abend auch. Sie war­te­te
dar­auf, ab­ge­holt zu wer­den. Die wö­chent­li­che Rönt­gen­durch­leuch­tung war fäl­lig.
Sie kann­te das Ri­tu­al bis zum Er­bre­chen; trotz­dem reg­te es sie je­des Mal auf.
    Sie hass­te die
In­ti­mi­tät des Rönt­gen­rau­mes. Sie hass­te es, mit nack­tem Ober­kör­per da­zu­ste­hen
und die Bli­cke des As­sis­tenz­arz­tes auf sich zu füh­len. Der Dalai La­ma stör­te
sie nicht. Für ihn war sie ein Fall – für den As­sis­tenz­arzt war sie ei­ne
Frau. Es ir­ri­tier­te sie nicht so sehr, daß sie nackt war; es ir­ri­tier­te sie,
daß sie mehr als nackt war, wenn sie an den Schirm trat. Sie war dann nackt
un­ter der Haut, nackt bis auf die Kno­chen und die sich be­we­gen­den und pul­sen­den
Or­ga­ne. Sie war für die blin­ken­den Au­genglä­ser im röt­li­chen Dun­kel nack­ter als
sie sich selbst je ge­se­hen hat­te und je se­hen konn­te.
    Ei­ne Zeit­lang war
sie mit Agnes So­mer­ville zu­sam­men zum Durch­leuch­ten ge­kom­men. Sie hat­te dann
ge­se­hen, wie Agnes sich plötz­lich aus ei­nem schö­nen, jun­gen Men­schen in ein
le­ben­des Ske­lett ver­wan­delt hat­te, in dem wie fah­le Tie­re die Lun­ge und der
Ma­gen hock­ten und sich dehn­ten, als frä­ßen sie das Le­ben. Sie hat­te ge­se­hen,
wie das Ske­lett sich be­weg­te, zur Sei­te, nach vorn,

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