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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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ha­be kein Fie­ber«, sag­te Lil­li­an rasch. »Es ist nur et­was
Auf­re­gung. Schon seit ei­ner Wo­che ha­be ich kein Fie­ber mehr, und vor­her hat­te
ich es auch nur, wenn ich auf­ge­regt war. Es ist nicht or­ga­nisch ...«
    Der Dalai La­ma
setz­te sich ne­ben sie und fühl­te nach ei­nem Punkt für die Sprit­ze. »Blei­ben Sie
für die nächs­ten Ta­ge im Zim­mer.«
    »Ich kann nicht
im­mer im Bett blei­ben. Da­von be­kom­me ich ja ge­ra­de das Fie­ber. Es macht mich
ver­rückt.«
    »Sie brau­chen nur
im Zim­mer zu blei­ben. Heu­te im Bett, Jod, Schwes­ter; hier.«
    Lil­li­an be­trach­te­te den
brau­nen Jod­fleck, wäh­rend sie sich in ih­rem Zim­mer um­zog. Dann hol­te sie die
Fla­sche Wod­ka un­ter ih­rer Wä­sche her­vor und goß ein Glas ein, wäh­rend sie nach
dem Kor­ri­dor horch­te. Die Schwes­ter muß­te je­den Au­gen­blick mit ih­rem Abendes­sen
kom­men, und sie woll­te heu­te nicht beim Trin­ken er­wi­scht wer­den.
    Ich bin noch nicht
zu dünn, dach­te sie und stell­te sich vor den Spie­gel. Ich ha­be ein hal­b­es Pfund
zu­ge­nom­men. Ei­ne große Leis­tung. Sie trank sich iro­nisch zu und ver­steck­te die
Fla­sche wie­der. Von drau­ßen hör­te sie jetzt den Wa­gen mit ih­rem Es­sen. Sie
griff nach ei­nem Kleid.
    »Zie­hen Sie sich
an?« frag­te die Schwes­ter. »Sie dür­fen doch nicht hin­aus.«
    »Ich zie­he mich an,
weil ich mich dann bes­ser füh­le.« Die Schwes­ter schüt­tel­te den Kopf. »Warum
le­gen Sie sich nicht zu Bett? Ich woll­te, ich be­käme ein­mal mein Es­sen im Bett
ser­viert.«
    »Le­gen Sie sich in
den Schnee, bis Sie Lun­gen­ent­zün­dung ha­ben«, sag­te Lil­li­an. »Dann be­kom­men Sie
es im Bett ser­viert.«
    »Nicht ich. Ich
wür­de mich höchs­tens er­käl­ten und einen klei­nen Schnup­fen be­kom­men. Hier ist
ein Pa­ket für Sie. Es sieht aus wie Blu­men.«
    Bo­ris, dach­te
Lil­li­an und nahm den wei­ßen Kar­ton.
    »Wol­len Sie es
nicht auf­ma­chen?« frag­te die Schwes­ter neu­gie­rig.
    »Spä­ter.«
    Lil­li­an sto­cher­te
ei­ne Wei­le in ih­rem Es­sen her­um, dann ließ sie es weg­räu­men. Die Schwes­ter
mach­te in­zwi­schen ihr Bett. »Wol­len sie nicht Ihr Ra­dio an­stel­len?« frag­te sie.
»Es ist doch un­ter­hal­tend!«
    »Wenn Sie es hö­ren
wol­len, stel­len Sie es an!«
    Die Schwes­ter
be­gann an den Knöp­fen zu dre­hen. Zü­rich kam mit ei­nem Vor­trag über Con­rad
Fer­di­nand Mey­er und Lau­san­ne mit Nach­rich­ten. Sie dreh­te wei­ter, und auf ein­mal
war Pa­ris da. Ein Pia­nist spiel­te De­bus­sy. Lil­li­an ging zum Fens­ter und war­te­te
dar­auf, daß die Schwes­ter fer­tig wür­de und das Zim­mer ver­lie­ße. Sie starr­te in
den abend­li­chen Ne­bel und hör­te die Mu­sik aus Pa­ris, und sie war ihr
un­er­träg­lich.
    »Ken­nen Sie Pa­ris?«
frag­te die Schwes­ter.
    »Ja.«
    »Ich nicht. Es muß
wun­der­bar sein!«
    »Es war kalt und
dun­kel und trost­los und von den Deut­schen ok­ku­piert, als ich da war.«
    Die Schwes­ter
lach­te. »Das ist doch längst vor­bei. Schon ein paar Jah­re. Jetzt ist al­les
si­cher wie­der wie vor dem Krie­ge. Möch­ten Sie nicht wie­der hin?«
    »Nein«, er­wi­der­te
Lil­li­an hart. »Wer will schon nach Pa­ris im Win­ter? Sind Sie fer­tig?«
    »Ja, ja, gleich.
Wo­zu ha­ben Sie es so ei­lig? Es ist ja doch nichts wei­ter zu tun hier.«
    Die Schwes­ter ging
end­lich. Lil­li­an stell­te das Ra­dio ab. Ja, dach­te sie, hier war nichts wei­ter
zu tun. Man konn­te nur war­ten. War­ten, wor­auf? Dar­auf, daß das Le­ben im­mer
wie­der nur aus War­ten be­stand?
    Sie öff­ne­te den
wei­ßen Kar­ton mit der blau­en Sei­den­schlei­fe. Bo­ris hat sich da­mit ab­ge­fun­den,
hier oben zu blei­ben, dach­te sie – oder we­nigs­tens das war es, was er
sag­te. Aber ich?
    Sie schlug das
Sei­den­pa­pier aus­ein­an­der, das die Blu­men um­hüll­te, und ließ den Kar­ton im
glei­chen Au­gen­blick fal­len, als hät­te er ei­ne Schlan­ge ent­hal­ten.
    Sie starr­te auf die
Or­chi­de­en am Bo­den. Sie kann­te die Blu­men. Zu­fall, dach­te sie, ein ekel­haf­ter
Zu­fall, es sind an­de­re, nicht die­sel­ben, an­de­re, ähn­li­che! Aber sie wuß­te zur
glei­chen Zeit, daß sol­che Zu­fäl­le nicht vor­ka­men, und

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