E.M. Remarque
Touristen
sich um sie schloß. »Alles ...«
4
D as Sanatorium war
still. Die Kranken machten Liegekur. Sie lagen schweigend auf ihren Betten und
Liegestühlen, hingebreitet wie Opfer, in denen die müde Luft einen lautlosen
Kampf mit dem Feind führte; der im warmen Dunkel der Lungen versteckt fraß.
Lillian Dunkerque
hockte in hellblauen Hosen auf ihrem Balkon. Die Nacht war weit weg und
vergessen. Das war immer hier oben so – wenn der Morgen erreicht war, fiel
die Panik der Nacht zusammen wie ein Schatten am Horizont, und man konnte sie
kaum noch begreifen. Lillian dehnte sich im Licht des späten Vormittags. Es war
ein weicher, schimmernder Vorhang, der das Gestern verdeckte und das Morgen
unwirklich machte. Vor ihr im Schnee, der nachts auf den Balkon geweht war,
steckte die Flasche Wodka, die Clerfayt ihr gegeben hatte.
Das Telefon
klingelte. Sie hob den Hörer ab. »Ja, Boris – nein, natürlich nicht –
wohin kämen wir, wenn wir das täten? – Lass uns nicht darüber reden –
natürlich kannst du heraufkommen – ja, ich bin allein, wer sollte schon
hier sein –?«
Sie ging auf den
Balkon zurück. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie die Flasche Wodka verstecken
sollte; aber dann holte sie ein Glas und öffnete sie. Der Wodka war sehr kalt
und sehr gut. »Guten Morgen, Boris«, sagte sie, als sie die Tür hörte. »Ich
trinke Wodka. Willst du auch einen? Dann bring ein Glas.« Sie streckte sich auf
dem Liegestuhl aus und wartete. Wolkow kam auf den Balkon, ein Glas in der
Hand.
Lillian atmete auf;
Gottlob, keine Predigt, dachte sie. Er schenkte sich ein Glas ein. Sie hielt
ihm ihres hin. Er goß es voll. »Warum, Duscha?« fragte er. »Röntgenpanik?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Fieber?«
»Auch nicht. Eher
Untertemperatur.«
»Hat der Dalai Lama
schon etwas zu deinen Aufnahmen gesagt?«
»Nein. Was soll er
schon sagen? Ich will es auch gar nicht wissen.«
»Gut«, erwiderte
Wolkow. »Darauf wollen wir trinken.«
Er trank seinen
Wodka auf einen Schluck aus und stellte die Flasche fort. »Gib mir noch ein
Glas«, sagte Lillian.
»So viele du
willst.«
Sie beobachtete
ihn. Sie wußte, daß er es hasste, wenn sie trank; aber sie wußte auch, daß er
jetzt nicht versuchen würde ihr auszureden, noch weiter zu trinken. Er war zu
klug dazu; er kannte ihre Stimmungen. »Noch eins?« fragte er statt dessen. »Die
Gläser sind klein.«
»Nein.« Sie stellte
das Glas neben sich, ohne getrunken zu haben. »Boris«, sagte sie und zog die
Beine auf den Sessel. »Wir verstehen uns zu gut.«
»Wirklich?«
»Ja. Du verstehst
mich zu sehr und ich dich, und das ist unser Elend.«
Wolkow lachte.
»Besonders bei Föhnwetter.«
»Nicht nur bei
Föhnwetter.«
»Oder wenn Fremde
angekommen sind.«
»Siehst du«, sagte
Lillian. »Du weißt bereits den Grund. Du kannst alles erklären. Ich nichts. Du
weißt alles im voraus über mich. Wie müde das macht! Ist das auch der Föhn?«
»Der Föhn und das
Frühjahr.«
Lillian schloß die
Augen. Sie spürte die drängende, unruhige Luft. »Warum bist du nicht
eifersüchtig?« fragte sie.
»Ich bin es ja.
Immer.«
Sie öffnete die
Augen. »Auf wen? Auf Clerfayt?«
Er schüttelte den
Kopf.
»Das dachte ich
mir. Worauf dann?«
Wolkow antwortete
nicht. Wozu fragte sie? Und was wußte sie schon davon? Eifersucht begann nicht
mit einem Menschen und endete nicht damit. Sie begann mit der Luft, die der
geliebte Mensch atmete und endete nie. Nicht einmal mit dem Tode des anderen.
»Worauf, Boris?« fragte Lillian. »Doch auf Clerfayt?«
»Ich weiß es nicht.
Vielleicht auf das, was mit ihm heraufkommt.«
»Was kommt schon
herauf?« Lillian streckte sich und schloß aufs neue die Augen. »Du brauchst
nicht eifersüchtig zu sein. Clerfayt fährt in ein paar Tagen wieder hinunter
und wird uns vergessen und wir ihn.«
Sie lag eine
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