E.M. Remarque
versteht. Clerfayt sah, daß es
die einzige Möglichkeit für sie war, ihren Ärger darüber zu bemeistern,
kontrolliert zu werden. Der Russe tat ihm fast leid; er war in einer
hoffnungslosen Situation.
»Wollen Sie sich
nicht setzen?« fragte er ihn, nicht ganz uneigennützig.
»Danke«, erwiderte
Wolkow kalt, als antwortete er einem Kellner, der ihn gefragt hätte, ob er
etwas bestellen wolle. Ebenso wie Clerfayt vorher, hatte auch er den Hohn
verspürt.
»Ich muß noch auf
jemand warten«, sagte er zu Lillian. »Wenn du inzwischen den Schlitten ...«
»Nein, Boris! Ich
will noch bleiben.«
Clerfayt hatte
jetzt genug. »Ich habe Miss Dunkerque hierher begleitet«, sagte er ruhig. »Und
ich glaube fähig zu sein, sie wieder zurückzubringen.«
Wolkow sah ihn
rasch an. Sein Gesicht veränderte sich. Er lächelte. »Ich fürchte, Sie
missverstehen mich. Aber es wäre zwecklos, das zu erklären.«
Er verbeugte sich
vor Lillian, und es schien einen Augenblick, als zerfiele die hochmütige Maske;
dann faßte er sich und ging zur Bar.
Clerfayt setzte
sich. Er war nicht mit sich zufrieden. Was tue ich da? dachte er. Ich bin doch
nicht mehr zwanzig Jahre alt! »Warum gehen Sie nicht zurück mit ihm?« fragte er
mißmutig.
»Wollen Sie mich
loswerden?«
Er sah sie an. Sie
schien hilflos zu sein, aber er wußte, daß Hilflosigkeit das Gefährlichste war,
was es bei einer Frau gab – denn keine Frau war wirklich hilflos.
»Natürlich nicht«,
sagte er. »Bleiben wir also!«
Sie blickte zur Bar
hinüber. »Er geht nicht«, flüsterte sie. »Er bewacht mich. Er glaubt, daß ich
nachgeben werde.«
Clerfayt nahm die
Flasche und füllte die Gläser. »Gut. Lassen wir es also darauf ankommen, wer
zuerst müde wird.«
»Sie verstehen ihn
nicht«, erwiderte Lillian scharf.
»Er ist nicht
eifersüchtig.«
»Nein?«
»Nein. Er ist
unglücklich und krank und sorgt sich um mich. Es ist leicht, überlegen zu sein,
wenn man gesund ist.«
Clerfayt stellte
die Flasche zurück. Diese loyale, kleine Bestie! Kaum war sie gerettet, da
hackte sie nach der rettenden Hand. »Möglich«, sagte er gleichmütig. »Aber ist
es ein Verbrechen, gesund zu sein?« Sie wandte sich ihm zu. »Natürlich nicht«,
murmelte sie. »Ich weiß nicht, was ich rede. Es ist besser, ich gehe.«
Sie griff nach
ihrer Tasche, aber sie stand nicht auf. Clerfayt hatte von ihr für heute auch
genug, aber er hätte sie um nichts in der Welt gehen lassen, solange Wolkow
noch an der Bar stand und auf sie wartete – so alt war er nun doch noch
nicht, dachte er. »Sie brauchen mit mir nicht besonders vorsichtig zu sein«,
sagte er. »Ich bin nicht sehr empfindlich.«
»Hier ist jeder
empfindlich.«
»Ich bin nicht von
hier.«
»Ja.« Lillian
lächelte plötzlich. »Das ist es wohl!«
»Was?«
»Das, was uns
irritiert. Verstehen Sie das nicht? Sogar Hollmann, Ihren Freund.«
»Das ist möglich«,
erwiderte Clerfayt überrascht.
»Ich hätte
wahrscheinlich nicht kommen sollen. Irritiere ich Wolkow auch?«
»Haben Sie das
nicht bemerkt?«
»Möglich. Warum
gibt er sich aber dann soviel Mühe, es mich merken zu lassen?«
»Er geht«, sagte
Lillian.
Clerfayt sah es.
»Und Sie?« fragte er. »Sollten Sie nicht auch besser im Sanatorium sein?«
»Wer weiß das? Der
Dalai Lama? Ich? Das Krokodil? Gott?«
Sie nahm ihr Glas.
»Und wer ist verantwortlich? Wer? Ich? Gott? Und wer für wen? Kommen Sie, wir
wollen tanzen?«
Clerfayt blieb
sitzen. Sie starrte ihn an. »Haben Sie auch Angst für mich? Meinen Sie auch,
ich sollte ...«
»Ich meine gar
nichts«, erwiderte Clerfayt. »Ich kann nur nicht tanzen; aber wenn Sie wollen,
können wir es versuchen.«
Sie gingen zur
Tanzfläche. »Agnes Somerville hat immer alles getan, was ihr vom Dalai Lama
vorgeschrieben wurde«, sagte Lillian, als der Lärm der stampfenden
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