E.M. Remarque
nur als Lärm.
»Hoffentlich reißt
er nicht wirklich aus«, sagte Clerfayt.
Lillian antwortete
nicht sofort. Ihre Lippen waren trocken. »Warum soll er ausreißen?« sagte sie
dann mühsam. »Er ist doch fast geheilt. Warum soll er da alles riskieren?«
»Manchmal riskiert
man es gerade dann.«
»Würden Sie es an
seiner Stelle riskieren?«
»Das weiß ich
nicht.«
Lillian holte Atem.
»Würden Sie es tun, wenn sie wüssten, daß Sie nie wieder gesund würden?« fragte
sie.
»Anstatt hier zu bleiben.«
»Anstatt hier ein
paar Monate länger zu vegetieren.« Clerfayt lächelte. Er kannte andere Arten
von Vegetieren. »Es kommt darauf an, was man darunter versteht«, sagte er.
»Vorsichtig zu
leben«, erwiderte Lillian rasch.
Er lachte. »Danach
müssen Sie nicht gerade einen Rennfahrer fragen.«
»Würden Sie es
tun?«
»Ich habe keine
Ahnung. So etwas weiß man nie vorher. Vielleicht ja, um noch einmal an mich zu
reißen, was Leben heißt, ohne Rücksicht auf Zeit – aber vielleicht würde
ich auch nach der Uhr leben und um jeden Tag geizen und jede Stunde. Das weiß
man nie. Ich habe da merkwürdige Überraschungen erlebt.«
Lillian zog ihre
Schulter unter Clerfayts Arm weg. »Müssen Sie das nicht vor jedem Rennen mit
sich abmachen?«
»So etwas sieht
dramatischer aus als es ist. Ich fahre nicht aus Romantik. Ich fahre für Geld,
und weil ich nichts anderes kann – nicht aus Abenteuerlust. Abenteuer habe
ich in unserer verdammten Zeit genug gehabt, ohne es zu wollen. Sie
wahrscheinlich auch.«
»Ja«, erwiderte
Lillian. »Aber nicht die richtigen.«
Sie hörten
plötzlich den Motor wieder. »Er kommt zurück«, sagte Clerfayt.
»Ja«, wiederholte
sie und holte tief Atem. »Er kommt zurück. Sind Sie enttäuscht?«
»Nein. Ich wollte
nur, daß er den Wagen einmal fährt. Das letzte Mal, als er darin saß, hatte er
seinen ersten Blutsturz.«
Lillian sah
Giuseppe auf der Chaussee heranschießen. Sie konnte es plötzlich nicht
ertragen, Hollmanns strahlendes Gesicht sehen zu müssen. »Ich muß hinein«,
sagte sie hastig. »Das Krokodil sucht mich bereits!« Sie wendete sich zum
Eingang. »Und wann fahren Sie über den Paß?« fragte sie.
»Wann Sie wollen«,
erwiderte Clerfayt. Es war Sonntag, und Sonntage im Sanatorium waren immer
schwerer zu ertragen als die Wochentage. Sie hatten eine trügerische Ruhe ohne
die Routine der Wochentage. Die Arzte kamen nur in die Zimmer, wenn es
notwendig war, so daß man glauben konnte, man sei gesund. Dadurch aber waren
die Kranken sonntags um so unruhiger, und die Schwester mußte oft genug abends
Bettlägerige in Zimmern aufsammeln, in die sie nicht gehörten.
Lillian kam trotz
des Verbots zum Abendessen herunter; das Krokodil kontrollierte gewöhnlich
sonntags nicht. Sie hatte zwei Gläser Wodka getrunken, um sich vor der
Melancholie der Dämmerung zu retten; aber es war ihr nicht gelungen. Dann hatte
sie ihr bestes Kleid angezogen – Kleider halfen manchmal mehr als jeder
moralische Trost –, aber diesmal hatte auch das nicht genutzt. Der Cafard,
der plötzliche Weltschmerz, der Hader mit Gott, den jeder hier oben kannte und
der ohne ersichtlichen Grund kam und ging, war geblieben. Er hatte sie
angeflogen wie ein dunkler Schmetterling.
Erst als sie in das
Esszimmer trat, wußte sie, woher er kam. Das Zimmer war fast voll, und an einem
Tisch in der Mitte saß Eva Moser, umringt von einem halben Dutzend ihrer
Freunde, vor sich einen Kuchen, eine Flasche Champagner und Geschenke in buntem
Papier. Es war ihr letzter Abend. Am nächsten Nachmittag sollte sie abfahren.
Lillian wollte
zuerst umkehren; dann sah sie Hollmann. Er saß allein neben einem Tisch mit den
drei schwarzgekleideten Südamerikanern, die auf
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