E.M. Remarque
spielen. Wir hatten niemand hier oben. Es war sehr langweilig.«
Schach war Richters
einzige Leidenschaft. Während des Krieges waren die Partner, die er in den
Sanatorien gehabt hatte, abgereist oder gestorben, und neue waren nicht
hinzugekommen. Zwei Freunde aus Deutschland, mit denen er brieflich gespielt
hatte, waren in Russland gefallen; ein anderer wurde bei Stalingrad
gefangengenommen. Ein paar Monate lang war Richter ganz ohne Partner gewesen;
er war lebensmüde geworden und hatte Gewicht verloren. Dann hatte der Chefarzt
arrangiert, daß er gegen Mitglieder eines Schachklubs in Zürich spielen konnte.
Die meisten davon aber waren nicht stark genug für ihn; mit den paar andern
wurde es ihm zu langwierig. Im Anfang hatte der ungeduldige Richter die Züge
über das Telefon gemacht; doch das wurde zu teuer, und er war auf Briefe hin
und her angewiesen, so daß er praktisch nur jeden zweiten Tag einen Zug machen
konnte, da die Post so lange dauerte. Mit der Zeit war selbst das
eingeschlafen, und Richter war wieder darauf angewiesen, alte Partien aus
Büchern nachzuspielen.
Dann war Regnier
gekommen. Er spielte eine Partie mit Richter, und Richter war selig, endlich
wieder einen würdigen Gegner zu haben; aber Regnier, ein Franzose, der aus
einem deutschen Gefangenenlager befreit worden war, weigerte sich
weiterzuspielen, als er hörte, daß Richter Deutscher sei. Nationale
Feindschaften machten auch vor dem Sanatorium nicht halt. Richter begann wieder
dahinzusiechen, auch Regnier wurde bettlägerig. Beide langweilten sich; aber
keiner wollte nachgeben. Ein Neger aus Jamaica, der zum Christentum
übergetreten war, fand schließlich eine Lösung. Auch er war bettlägerig. In
zwei separaten Briefen lud er Richter und Regnier zu je einer Schachpartie mit
sich ein, von Bett zu Bett, über das Telefon. Beide waren hocherfreut. Die
einzige Schwierigkeit war, daß der Neger keine Ahnung von Schach hatte, doch er
löste das auf einfache Weise. Er spielte gegen Richter mit den weißen Figuren,
gegen Regnier schwarz. Da Weiß den ersten Zug hatte, machte Regnier ihn auf dem
Brett, das neben seinem Bett stand, und telefonierte mit dem Neger. Der
telefonierte ihn zu Richter, wo er weiß spielte. Dann wartete er auf Richters
Gegenzug und telefonierte ihn Regnier. Regniers zweiten Zug telefonierte er
wieder an Richter und Richters Antwort an Regnier. Er selbst hatte nicht einmal
ein Brett, da er ja nichts weiter tat, als Regnier und Richter, ohne daß sie es
wußten, gegeneinander spielen zu lassen. Sein Trick war, daß er eine Partie
weiß, die andere schwarz spielte – hätte er beide weiß oder beide schwarz
gespielt, dann hätte er die Züge nicht weitergeben können, sondern hätte sie
selbst machen müssen.
Kurz nach dem Ende
des Krieges starb der Neger. Regnier und Richter hatten inzwischen kleinere
Zimmer nehmen müssen, da beide verarmt waren – der eine war bettlägerig im
dritten, der andere im zweiten Stock. Das Krokodil übernahm jetzt die Rolle des
Negers, damit die Partien weitergingen, und die Zimmerschwestern übermittelten
die Züge der Gegner, die immer noch glaubten, gegen den Neger zu spielen, von
dem ihnen gesagt worden war, daß er wegen einer vorgeschrittenen
Kehlkopftuberkulose jetzt nicht mehr sprechen konnte. Das ging gut, bis Regnier
wieder aufstehen konnte. Er wollte als erstes den Neger besuchen und fand so
alles heraus.
Inzwischen hatten
sich die nationalen Gefühle etwas beruhigt. Als Regnier hörte, daß Richters
Angehörige in Deutschland bei Luftangriffen getötet worden waren, schloß er
Frieden, und beide spielten seitdem einträchtig miteinander. Mit der Zeit war
auch Regnier
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