Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
Vom Netzwerk:
wie­der bett­lä­ge­rig ge­wor­den, und da bei­de jetzt kein Te­le­fon mehr
hat­ten, ver­mit­tel­ten ein paar Pa­ti­en­ten für sie die Bo­ten­diens­te. Lil­li­an auch.
Dann war Regnier vor drei Wo­chen ge­stor­ben. Rich­ter war um die­se Zeit so
schwach ge­we­sen, daß man auch sei­nen Tod er­war­te­te, und nie­mand woll­te ihm
sa­gen, daß Regnier tot sei. Um ihn zu täu­schen, war das Kro­ko­dil als Part­ner
ein­ge­sprun­gen; es hat­te in­zwi­schen selbst spie­len ge­lernt, war aber na­tür­lich
kein Geg­ner für Rich­ter. Da­her kam es, daß Rich­ter, der im­mer noch glaub­te, es
sei Regnier, sich nicht ge­nug dar­über wun­dern konn­te, was für ein Idi­ot die­ser
so gu­te Spie­ler plötz­lich ge­wor­den war.
    »Wol­len Sie nicht Schach
ler­nen«, frag­te er Lil­li­an, die ihm den letz­ten Zug des Kro­ko­dils über­bracht
hat­te. »Ich kann es Ih­nen rasch bei­brin­gen.«
    Lil­li­an sah die
Angst in den blau­en Au­gen. Der al­te Mann glaub­te, daß Regnier bald ster­ben
wür­de, da er so schlecht spiel­te, und er hat­te Angst, wie­der oh­ne Part­ner zu
sein. Er frag­te je­den, der ihn be­such­te.
    »Man kann es bald
ler­nen. Ich zei­ge Ih­nen al­le Tricks. Ich ha­be ge­gen Las­ker ge­spielt.«
    »Ich ha­be kein
Ta­lent da­für. Und kei­ne Ge­duld.«
    »Je­der hat Ta­lent!
Und Ge­duld muß man ha­ben, wenn man nachts nicht schla­fen kann. Was soll man
sonst tun? Be­ten? Das hilft nicht. Ich bin Athe­ist. Phi­lo­so­phie hilft auch
nicht. De­tek­tivro­ma­ne nur für kur­ze Zeit. Ich ha­be al­les pro­biert, mei­ne Da­me.
Nur zwei Din­ge hel­fen. Das ei­ne ist, daß ein an­de­rer bei ei­nem ist; des­halb
ha­be ich ge­hei­ra­tet. Aber mei­ne Frau ist längst tot ...«
    »Und das an­de­re?«
    »Schach­auf­ga­ben zu
lö­sen. Es ist so weit ent­fernt von all dem Mensch­li­chen – dem Zwei­fel und
der Angst – so ab­strakt, daß es be­ru­higt. Es ist ei­ne Welt oh­ne Pa­nik und
oh­ne Tod. Es hilft! We­nigs­tens für die ei­ne Nacht – und mehr wol­len wir ja
nicht, nicht wahr? Nur durch­hal­ten bis zum nächs­ten Mor­gen ...«
    »Ja. Mehr will man
hier nicht.«
    Im Fens­ter des
hoch­ge­le­ge­nen Zim­mers sah man nichts als Wol­ken und einen Schnee­hang. Die
Wol­ken wa­ren gelb und gol­den und un­ru­hig am frü­hen Nach­mit­tag. »Soll ich es
Ih­nen bei­brin­gen?« frag­te Rich­ter. »Wir kön­nen gleich an­fan­gen.«
    Die star­ken Au­gen
in dem To­ten­schä­del fla­cker­ten. Sie hun­ger­ten nach Ge­sell­schaft, dach­te
Lil­li­an – nicht nach Schach­pro­ble­men. Sie hun­ger­ten nach je­mand, der da
sein konn­te, wenn die Tür sich plötz­lich öff­ne­te und nie­mand her­ein­kam als der
laut­lo­se Wind, un­ter dem das Blut aus der Keh­le stürz­te und die Lun­gen füll­te,
bis man in ihm er­stick­te.
    »Wie lan­ge sind Sie
schon hier?« frag­te sie.
    »Zwan­zig Jah­re. Ein
Le­ben, wie?«
    »Ja, ein Le­ben.«
    Ein Le­ben, dach­te
sie, aber was für ein Le­ben! Je­der Tag war wie der an­de­re, in end­lo­ser Rou­ti­ne,
Tag um Tag, und am En­de des Jah­res fie­len die Ta­ge zu­sam­men, als wä­ren sie nur
ein ein­zi­ger Tag ge­we­sen, so sehr gli­chen sie sich, und so fie­len auch die
Jah­re zu­sam­men, als wä­ren sie nur ein ein­zi­ges Jahr ge­we­sen, so sehr wa­ren auch
sie im­mer wie­der die­sel­ben. Nein, dach­te Lil­li­an, nicht so! Ich will nicht so
en­den! Nicht so!
    »Wol­len wir heu­te
an­fan­gen?« frag­te Rich­ter.
    Lil­li­an schüt­tel­te
den Kopf. »Es hat kei­nen Zweck mehr. Ich blei­be nicht mehr lan­ge hier.«
    »Sie fah­ren nach
un­ten?« krächz­te Rich­ter.
    »Ja. In ein paar
Ta­gen.«
    Was re­de ich da?
dach­te sie be­trof­fen. Es ist ja nicht wahr! Aber die Wor­te hall­ten ihr im Kopf,
als wä­ren sie nicht wie­der zu ver­ges­sen. Ver­wirrt stand sie auf.
    »Sind Sie ge­heilt?«
    Die hei­se­re Stim­me
klang so är­ger­lich, als hät­te Lil­li­an einen Ver­trau­ens­bruch be­gan­gen. »Ich
fah­re nicht für lan­ge«, sag­te sie has­tig. »Nur für kur­ze Zeit. Ich kom­me
wie­der.«
    »Je­der kommt
wie­der«, krächz­te Rich­ter be­ru­higt. »Je­der.«
    »Soll ich Ih­ren Zug
für Regnier mit­neh­men?«
    »Zweck­los.« Rich­ter
warf die Schach­fi­gu­ren auf dem Brett ne­ben

Weitere Kostenlose Bücher