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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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sei­nem Bett um. »Er ist so gut wie
matt. Sa­gen Sie ihm, wir müß­ten ein neu­es Spiel an­fan­gen.«
    »Ja. Ein neu­es
Spiel. Ja.«
    Die Un­ru­he ver­ließ sie
nicht. Nach­mit­tags ge­lang es ihr, ei­ne jun­ge As­sis­tenz­schwes­ter im
Ope­ra­ti­ons­raum zu über­re­den, ihr die letz­ten Rönt­gen­auf­nah­men zu zei­gen, die
von ihr ge­macht wor­den wa­ren. Die Schwes­ter glaub­te, Lil­li­an ver­stän­de nichts
da­von, und brach­te ihr die Fil­me.
    »Kann ich sie einen
Au­gen­blick hier be­hal­ten?« frag­te Lil­li­an.
    Die Schwes­ter
zö­ger­te. »Es ist ge­gen die Vor­schrif­ten. Es ist schon nicht rich­tig, daß ich
sie Ih­nen über­haupt zei­ge.«
    »Der Pro­fes­sor
zeigt sie mir fast im­mer selbst und er­klärt sie mir. Er hat es die­ses Mal
ver­ges­sen.« Lil­li­an ging zum Schrank und nahm ein Kleid her­aus. »Hier ist das
Kleid, das ich Ih­nen neu­lich ver­spro­chen ha­be. Sie kön­nen es jetzt mit­neh­men.«
    Die Schwes­ter
er­rö­te­te. »Das gel­be Kleid? Ha­ben Sie das wirk­lich so ge­meint?«
    »Warum nicht? Es
paßt mir nicht mehr. Ich bin zu dünn da­für ge­wor­den.«
    »Sie kön­nen es
en­ger ma­chen las­sen.«
    Lil­li­an schüt­tel­te
den Kopf. »Neh­men Sie es nur.«
    Die Schwes­ter nahm
das Kleid, als wä­re es aus Glas und hielt es sich an. »Ich glau­be, es paßt
so­gar«, flüs­ter­te sie und sah in den Spie­gel. Dann leg­te sie es über ei­ne
Stuhl­leh­ne. »Ich las­se es noch ein paar Mi­nu­ten hier. Die Auf­nah­men auch. Dann
ho­le ich al­les ab. Ich muß noch zu Num­mer sechs­und­zwan­zig. Sie ist ab­ge­reist.«
    »Ab­ge­reist?«
    »Ja. Vor ei­ner
Stun­de.«
    »Wer ist Num­mer
sechs­und­zwan­zig?«
    »Die klei­ne
Süd­ame­ri­ka­ne­rin aus Bo­gotá.«
    »Die mit den drei
Ver­wand­ten? Ma­nue­la?«
    »Ja. Es kam rasch;
aber es war zu er­war­ten.«
    »Was re­den wir
her­um«, sag­te Lil­li­an, er­bit­tert durch den vor­sich­ti­gen Jar­gon des Sa­na­to­ri­ums.
»Sie ist nicht ab­ge­reist, sie ist tot, ge­stor­ben, nicht mehr da!«
    »Ja, na­tür­lich«,
er­wi­der­te die Schwes­ter ein­ge­schüch­tert und schiel­te nach dem Klei­de, das wie
ei­ne gel­be Qua­ran­tä­ne­flag­ge über dem Stuhl hing. Lil­li­an sah es.
    »Ge­hen Sie nur«,
sag­te sie ru­hi­ger. »Sie ha­ben recht; wenn Sie zu­rück­kom­men, kön­nen Sie gleich
al­les zu­sam­men mit­neh­men.«
    »Gut.«
    Lil­li­an zog rasch die
dunklen, glat­ten Fil­me aus dem Um­schlag und ging da­mit zum Fens­ter. Sie konn­te
sie nicht wirk­lich le­sen. Der Dalai La­ma hat­te ihr nur öf­ter die Schat­ten und
Ver­fär­bun­gen ge­zeigt, auf die es an­kam. Seit ei­ni­gen Mo­na­ten hat­te er es nicht
mehr ge­tan.
    Sie blick­te auf das
glän­zen­de Grau und Schwarz, das über ihr Le­ben ent­schied. Da wa­ren ih­re
Schul­ter­kno­chen, ih­re Wir­bel­säu­le, ih­re Rip­pen, da war ihr Ske­lett – und
da­zwi­schen das un­heim­li­che, schat­ten­haf­te Et­was, das Ge­sund­heit oder Krank­heit
hieß. Sie er­in­ner­te sich an die frü­he­ren Auf­nah­men, an die neb­li­gen grau­en
Fle­cke und ver­such­te, sie wie­der zu fin­den. Sie glaub­te, sie zu se­hen, und es
schi­en ihr, daß sie grö­ßer ge­wor­den sei­en. Sie ging vom Fens­ter weg und
schal­te­te die Lam­pe an. Dann nahm sie den Schirm ab, um noch mehr Licht zu
ha­ben, und plötz­lich war ihr, als sä­he sie sich selbst, tot, nach Jah­ren im
Gra­be, das Fleisch be­reits zer­fal­len zu grau­er Er­de und nur die Kno­chen noch fest,
das ein­zi­ge, was stand­ge­hal­ten hat­te. Sie leg­te die Fil­me auf den Tisch. Ich
ma­che wie­der Un­sinn, dach­te sie – aber sie ging trotz­dem zum Spie­gel und
blick­te hin­ein, sie be­ob­ach­te­te ihr Ge­sicht, das Ge­sicht, das ih­res war und
nicht ih­res, sei­ten­ver­kehrt im Spie­gel und fremd und trotz­dem das ih­re. Ich
ken­ne es nicht, nicht wie es wirk­lich aus­sieht, dach­te sie, ich ken­ne nicht
das, das die an­dern se­hen, ich ken­ne nur die­ses Spie­gel­phan­tom, das ver­tauscht
ist und rechts hat, wo an­de­re links bei mir se­hen, ich ken­ne nur die­se Lü­ge,
eben­so wie ich nur die an­de­re Lü­ge ken­ne, die Far­ben und die Form, wäh­rend ich
das wirk­li­che, das Ske­lett, das still in mir ar­bei­tet, um an

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