E.M. Remarque
der
Wurst.« Lillian zeigte auf das Nachtessen des Hausknechts.
»Ich gebe Ihnen
meine, Madame. In der Küche ist noch genug davon.«
»Bringen Sie die
aus der Küche«, sagte Clerfayt. »Mit dunklem Brot und einem Stück Brie.«
»Und eine Flasche
Bier«, sagte Lillian.
»Keinen Champagner,
Madame?« Das Gesicht des Burschen fiel. Er dachte an seine Prozente.
»Auf jeden Fall den
Dom Perignon«, erklärte Clerfayt. »Und wenn er nur für mich ist. Ich will etwas
feiern.«
»Was?«
»Den Durchbruch des
Gefühls.« Clerfayt nahm in der Loge des Hausknechtes Platz. »Gehen Sie! Ich
passe solange auf.«
»Kannst du den
Kasten bedienen?« fragte Lillian.
»Natürlich. Ich
habe das im Krieg gelernt.«
Sie lehnte sich mit
dem Ellbogen auf den Tisch. »Du hast viel im Krieg gelernt, wie?«
»Das meiste. Es ist
ja fast immer Krieg.«
Clerfayt notierte
eine Bestellung für eine Flasche Wasser und den Wunsch eines Reisenden, morgens
um sechs geweckt zu werden. Er gab einem erstaunten kahlköpfigen Mann den
Schlüssel für Zimmer zwölf und zwei jungen Engländerinnen die Schlüssel zu
vierundzwanzig, fünfundzwanzig. Ein ziemlich betrunkener Mann kam von der
Straße herein und wollte wissen, ob Lillian frei sei und was sie koste.
»Tausend Dollar«,
sagte Clerfayt.
»Das ist keine Frau
wert, du Dummkopf«, erwiderte der Mann und verschwand in der plätschernden
Nacht am Quai.
Der Hausknecht
brachte die Flaschen und die Wurst und erklärte sich noch einmal bereit, zum
Tour d'Argent oder zu Lapérouse zu gehen, wenn
noch etwas gebraucht würde. Er habe auch ein Fahrrad.
»Morgen«, sagte
Clerfayt. »Haben Sie noch ein Zimmer frei?«
Der Bursche sah ihn
an, als hätte er den Verstand verloren. »Aber Madame hat doch ihr Zimmer.«
»Madame ist
verheiratet. Mit mir«, fügte Clerfayt hinzu und brachte den Hausknecht in neue
Verwirrung, da er jetzt sichtlich nicht mehr wußte, wozu der Dom Perignon
bestellt worden war.
»Wir hätten Nummer
sechs«, erklärte der Mann. »Neben Madame.«
»Gut. Bringen Sie
alles hinauf.«
Der Hausknecht
stellte die Sachen ab und erklärte, nachdem er sein Trinkgeld angeschaut hatte,
daß er, wenn es nötig sei, die ganze Nacht hindurch überall mit seinem Fahrrad
Besorgungen machen könne. Clerfayt schrieb ihm auf einen Zettel, am nächsten
Morgen eine Zahnbürste, Seife und einige andere Dinge zu besorgen und vor seine
Tür zu legen. Der Mann versprach es und ging. Er kam noch einmal zurück und
brachte Eis; dann verschwand er endgültig.
»Ich hätte
geglaubt, dich nie wieder zu sehen, hätte ich dich heute abend alleingelassen«,
sagte Clerfayt.
Lillian setzte sich
auf das Fensterbrett. »Ich denke das jede Nacht.«
»Was?«
»Daß ich alles nie
wieder sehen werde.«
Er fühlte einen
scharfen Schmerz. Sie sah plötzlich sehr einsam aus mit dem sanften Profil
gegen die Nacht – einsam, nicht verlassen. »Ich liebe dich«, sagte er.
»Ich weiß nicht, ob es dir etwas hilft, aber es ist wahr.«
Sie antwortete
nicht. »Du weißt, daß ich das nicht wegen heute abend sage«, sagte er und ahnte
nicht, daß er log. »Vergiß den Abend. Es war ein Zufall, eine Dummheit und viel
Verwirrung. Ich wollte dich um alles in der Welt nicht verletzen.«
Sie schwieg noch
eine Weile. »Ich glaube, ich bin in gewisser Beziehung unverletzbar«, sagte sie
dann nachdenklich. »Ich glaube das wirklich. Vielleicht ist es ein Ausgleich
für das andere.«
Clerfayt wußte
nicht, was er antworten sollte. Er spürte vage, was sie meinte; aber er hätte
lieber das Gegenteil geglaubt. Er sah sie an. »Deine Haut ist nachts wie die
Innenseite einer Muschel«, sagte er. »Sie schimmert. Sie verschluckt das Licht
nicht; sie gibt es zurück. Willst du wirklich das Bier trinken?«
»Ja. Und gib mir
etwas von der Wurst aus Lyon. Mit Brot.
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