E.M. Remarque
nicht mehr fragen. »Lassen Sie ihn weiterfahren«, sagte er.
»Solange er kann.
Er ist jung, er kann es aushalten.«
»Er ist zu nervös.«
»Er fährt
großartig.«
Der Rennleiter
nickte. »Es wäre ohnehin Selbstmord für Sie, mit Ihrer Schulter, in den
Kurven«, sagte er, unaufrichtig.
»Es wäre kein
Selbstmord. Ich müßte nur langsamer fahren.«
»Heilige Mutter
Gottes!« betete der Rennleiter weiter. »Lass Torellis Bremsen festfressen!
Nicht, daß er stürzt, aber so, daß er nicht weiterfahren kann. Schütze Weber
und Torriani! Gib Bordoni ein Loch in den Tank!« Er wurde bei jedem Rennen in
seiner Weise fromm; im Augenblick, wenn es zu Ende war, begann er erleichtert
wieder zu fluchen.
Eine Runde vor
Schluß rollte der Wagen Torrianis vor das Depot. Torriani hing über dem
Steuerrad. »Was ist los?« brüllte der Rennleiter. »Können Sie nicht
weiterfahren? Was ist los? Hebt ihn raus! Clerfayt! Heilige, gelobte Madonna,
Mutter der Schmerzen – er hat einen Hitzschlag! Unglaublich! So heiß ist
es doch gar nicht! Im Frühjahr! Können Sie nicht weiterfahren? Der
Wagen ...«
Die Monteure
arbeiteten schon. »Clerfayt!« betete der Rennleiter. »Bringen Sie nur den Wagen
zurück! Weber liegt als dritter vorne, es macht nichts, selbst wenn wir ein
paar Minuten verlieren! Sie werden immer noch vierter. Rein in die Kiste!
Himmel, Herrgott, was für ein Rennen!«
Clerfayt saß schon im
Wagen. Torriani war zusammengefallen. »Nur den Wagen zurück!« betete der
Rennleiter. »Bringen Sie nur den Wagen zurück! Und den vierten Preis! Weber
natürlich den dritten! Oder den zweiten. Und noch ein kleines Loch in Bordonis
Tank! Dazu, in deiner Güte, heilige Jungfrau, ein paar defekte Reifen für die
übrige Konkurrenz! Das süße Blut Jesu ...«
Eine Runde, dachte
Clerfayt. Sie geht vorüber. Man kann den Schmerz ertragen. Er ist geringer, als
in einem Konzentrationslager am Kreuze zu hängen. Ich habe einen Jungen
gesehen, dem vom SD in Berlin die gesunden Zähne bis in die Wurzeln aufgebohrt
worden waren, damit er Freunde verraten sollte. Er hatte sie nicht verraten.
Weber liegt vorne. Es ist egal, was ich mache. Es ist nicht egal! Wie sich das
dreht! Die Karre ist doch kein Flugzeug! Herunter mit dem verdammten Gashebel!
Angst ist schon der halbe Unfall!
Die
mechanische
Stimme des Ansagers dröhnte: »Clerfayt ist wieder im Rennen. Torriani ist
ausgefallen!«
Lillian sah den
Wagen vorüberschießen. Sie sah die bandagierte Schulter. Dieser Narr! dachte
sie. Dieses Kind, das nie aufgewachsen ist. Leichtsinn ist nicht Mut. Er wird
wieder stürzen! Was wissen sie alle vom Tode, diese leichtfertigen Gesunden?
Die oben wissen es, die jeden Atemzug wie eine Belohnung erkämpfen müssen! Eine
Hand neben ihr schob eine Visitenkarte in die ihre. Sie warf sie weg und stand
auf. Sie wollte fortgehen. Hundert Augen richteten sich auf sie. Es war, als
folgten ihr hundert leere Linsen, die die Sonne reflektierten. Sie folgten ihr
aufmerksam. Leere Augen, dachte sie. Augen, die sehen und nicht sehen. War es
nicht immer so? Wo nicht? Sie dachte wieder an das Sanatorium im Schnee. Dort
war es anders gewesen. Dort waren wissende Augen gewesen.
Sie ging die Treppe
der Tribüne hinunter. Was tue ich hier, unter diesen fremden Menschen? dachte
sie und blieb stehen, als hätte ein starker Windstoß sie getroffen. Ja, was tue
ich hier? dachte sie. Ich wollte hierher zurück; aber kann man zurück? Ich
wollte mit aller Kraft meines Herzens zurück; aber gehöre ich jetzt dazu? Bin
ich geworden wie die andern hier? Sie sah sich um. Nein, dachte sie, ich gehöre
nicht dazu! Man konnte nicht zurück in die Wärme der Ahnungslosigkeit. Man
konnte nichts ungeschehen machen. Das dunkle
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