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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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Ge­heim­nis, das sie kann­te und das
die an­dern zu igno­rie­ren schie­nen, ließ sich nicht ver­ges­sen. Es blieb mit ihr,
wo­hin sie auch floh. Ihr war, als fie­le jäh die bun­te und gol­de­ne De­ko­ra­ti­on
ei­nes Thea­ter­stückes zu­sam­men, und sie kön­ne das kah­le Ge­rüst da­hin­ter se­hen.
Es war kei­ne Er­nüch­te­rung; nur ein Mo­ment großer Klar­sicht: Sie konn­te nicht
zu­rück, und es gab kei­ne Hil­fe von au­ßen. Da­für aber, das fühl­te sie im sel­ben
Au­gen­blick, sprang die ei­ne, letz­te Fon­tä­ne, die ihr ge­blie­ben war, um so
hö­her, ih­re Kraft wur­de nicht mehr auf ein Dut­zend Brun­nen ver­teilt, son­dern
nur noch auf einen, um so zu ver­su­chen, die Wol­ken und Gott zu er­rei­chen. Sie
wür­de sie nie er­rei­chen, – aber war nicht der Ver­such auch schon ge­nug,
und das Zu­rück­sin­ken des tan­zen­den Was­sers zu sich selbst be­reits auch ei­ne
Er­fül­lung? Zu sich selbst, dach­te sie. Wie weit man floh, und wie hoch man
zie­len muß­te, um da­hin zu ge­lan­gen!
    Ihr war plötz­lich,
als sei ei­ne an­ony­me Last von ihr ge­nom­men wor­den. Et­was wie ei­ne dump­fe,
über­leb­te Ver­ant­wor­tung sank von ih­ren Schul­tern auf die Holz­trep­pen der
Tri­bü­ne hin­un­ter, und sie stieg dar­über hin­aus wie über ein al­tes Kleid. Wenn
auch die De­ko­ra­tio­nen des Thea­ter­stückes ge­fal­len wa­ren: das Ge­rüst war
ge­blie­ben, und wer sei­ne Kahl­heit nicht fürch­te­te, der war un­ab­hän­gig und
konn­te mit und vor ihm spie­len, wie er woll­te, und wie es sei­ner Angst oder
sei­ner Kühn­heit ent­sprach. Er konn­te sei­ne ei­ge­ne Ein­sam­keit in tau­send
Va­ria­tio­nen dar­an auf­zie­hen, so­gar in der Lie­be – das Stück hör­te nie auf.
Es ver­wan­del­te sich nur. Man wur­de sein ein­zi­ger Schau­spie­ler und Zu­schau­er
zu­gleich.
    Der Bei­fall der
Men­ge knat­ter­te wie ei­ne Ma­schi­nen­ge­wehr­sal­ve um sie her. Die Fah­rer ka­men
zu­rück. Klein und bunt schos­sen sie durchs Ziel. Lil­li­an blieb auf der Trep­pe
ste­hen, bis sie Cler­fa­yts Wa­gen sah. Dann stieg sie lang­sam, um­raucht von
frem­dem Bei­fall, die Trep­pen hin­un­ter, in die Küh­le ei­ner neu­en, kost­ba­ren
Er­kennt­nis, die eben­so­gut den Na­men Frei­heit wie Ein­sam­keit tra­gen konn­te, und
in die Wär­me ei­ner Lie­be, in der be­reits das Wort Ver­las­sen rausch­te, und bei­de
ka­men ihr ent­ge­gen wie ei­ne Som­mer­nacht, in der Fon­tä­nen spran­gen.
    Cler­fa­yt hat­te das
Blut ab­ge­wischt, aber sei­ne Lip­pen tropf­ten noch. »Ich kann dich nicht küs­sen«,
sag­te er.
    »Hast du Angst
ge­habt?«
    »Nein. Aber du
soll­test nicht mehr fah­ren.«
    »Na­tür­lich nicht«,
er­wi­der­te Cler­fa­yt ge­dul­dig. Er kann­te die­se Re­ak­ti­on. »War ich so schlecht?«
frag­te er und ver­zog vor­sich­tig das Ge­sicht.
    »Es war groß­ar­tig«,
sag­te Tor­ria­ni, der mit kä­si­gem Ge­sicht auf ei­ner Kis­te saß und Ko­gnak trank.
    Lil­li­an blick­te ihn
feind­se­lig an. »Es ist vor­bei«, sag­te Cler­fa­yt. »Denk nicht mehr dar­an,
Lil­li­an. Es war nicht ge­fähr­lich. Es sah nur so aus.«
    »Du soll­test nicht
fah­ren«, wie­der­hol­te sie.
    »Gut. Mor­gen
zer­rei­ßen wir den Kon­trakt. Zu­frie­den?«
    Tor­ria­ni lach­te.
»Und über­mor­gen kle­ben wir ihn wie­der zu­sam­men.«
    Der Renn­lei­ter
Ga­bri­el­li kam vor­bei, und die Mon­teu­re scho­ben die Wa­gen her­ein. Es stank nach
ver­brann­tem Öl und Ben­zin. »Kom­men Sie heu­te abend, Cler­fa­yt?« frag­te
Ga­bri­el­li.
    Cler­fa­yt nick­te.
»Wir sind hier im We­ge, Lil­li­an«, sag­te er dann. »Lass uns aus die­sem
schmut­zi­gen Stall aus­bre­chen.« Er sah ihr Ge­sicht. Es hat­te noch im­mer den
son­der­ba­ren Ernst wie vor­her. »Was ist los?« frag­te er. »Willst du wirk­lich,
daß ich nicht mehr fah­re?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Sie zö­ger­te. »Ich
weiß nicht, wie ich es sa­gen soll – aber es ist, ir­gend­wie – tief
un­mo­ra­lisch.«
    »Großer Gott!«
sag­te Tor­ria­ni.
    »Sei ru­hig,
Al­fre­do«, er­wi­der­te Cler­fa­yt.
    »Es klingt al­bern,
ich weiß es«, sag­te Lil­li­an. »Ich mei­ne es auch nicht so. Vor ein paar Mi­nu­ten
wuß­te ich es noch ganz klar;

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