E.M. Remarque
jetzt nicht mehr.«
Torriani nahm einen
großen Schluck. »Rennfahrer sind nach dem Rennen so empfindlich wie Krebse nach
dem Häuten. Geben Sie uns keinen Komplex.« Clerfayt lachte. »Du meinst, man
solle Gott nicht versuchen, Lillian?«
Sie nickte. »Nur
wenn gar nichts anderes übrig bleibt. Nicht aus Frivolität.«
»Großer Gott!«
wiederholte Torriani. »Frivolität!« Er stand auf und ging zu Gabrielli hinüber.
»Ich rede Unsinn«,
sagte Lillian verzweifelt zu Clerfayt. »Hör nicht auf mich!«
»Du redest keinen
Unsinn. Du bist nur überraschend.«
»Warum?«
Er blieb stehen.
»Frage ich dich je, ins Sanatorium zurückzugehen?« sagte er ruhig.
Sie blickte ihn an.
Sie hatte bis jetzt geglaubt, er wüsste nichts oder hätte angenommen, daß ihr
nicht viel fehle. »Ich brauche nicht ins Sanatorium zurück«, erwiderte sie
rasch.
»Das weiß ich. Aber
habe ich dich je gefragt?«
Sie hörte die
Ironie. »Ich sollte nicht reden, wie?«
»Doch«, sagte er.
»Immer.«
Sie lachte. »Ich liebe
dich sehr, Clerfayt. Sind alle Frauen nach dem Rennen so albern wie ich?«
»Das habe ich
vergessen. Ist das ein Kleid von Balenciaga?«
»Das habe ich auch
vergessen.«
Er befühlte seine
Backenknochen und seine Schulter. »Ich werde heute abend ein Gesicht wie ein
bunter Pudding haben und eine geschwollene Schulter. Wollen wir zu Levalli
hinausfahren, solange ich noch steuern kann?«
»Mußt du nicht zu
deinem Rennleiter?«
»Nein. Da ist nur
eine Siegesfeier im Hotel.«
»Feierst du nicht
gern Siege?«
»Jeder gewonnene
Sieg ist einer weniger. Einer weniger zu gewinnen«, sagte er. Sein Gesicht
begann bereits zu schwellen. »Wirst du mir heute abend nasse Umschläge auf das
Gesicht machen und mir dazu ein Kapitel aus der Kritik der reinen Vernunft
vorlesen?«
»Ja«, sagte
Lillian. »Und irgendwann möchte ich nach Venedig fahren.«
»Warum?«
»Es hat keine Berge
und keine Automobile.«
14
S ie
blieben
noch zwei Wochen in Sizilien. Clerfayt heilte seine Schulter aus. Sie lebten in
Levallis verwildertem Garten und am Meer. Die Villa war eine Kabine, die über
dem Meer und über der Zeit hing, die darunter ohne Anfang und ohne Ende
hinwegrauschten. Clerfayt hatte noch ein paar Wochen bis zum nächsten Rennen.
»Wollen wir hier bleiben?« fragte er. »Oder wollen wir zurück?«
»Wohin?«
»Nach Paris. Oder
irgendwohin. Wenn man nirgendwo zu Hause ist, kann man überallhin fahren. Hier
wird es jetzt heiß.«
»Ist der Frühling
schon vorbei?«
»Hier unten ja.
Aber wir können Giuseppe nehmen und ihm nachfahren. In Rom fängt er jetzt erst
an.«
»Und wenn er dort
vorbei ist?«
Clerfayt lachte.
»Dann fahren wir ihm weiter nach, wenn du willst. Er fängt dann in der
Lombardei an den Seen an. Wir können ihm folgen in die Schweiz, den Rhein
hinunter, bis wir ihn in allen Farben in den Tulpenfeldern von Holland vor dem
Meer liegen sehen. Das ist dann, als stände die Zeit still.«
»Hast du das schon
einmal getan?«
»Ja, vor hundert
Jahren. Vor dem Kriege.«
»Mit einer Frau?«
»Ja, aber es war
anders.«
»Es ist sicher
immer anders. Auch mit derselben Frau. Ich bin nicht eifersüchtig.«
»Ich wollte, du
wärest es.«
»Ich fände es
schrecklich, wenn du nichts erlebt hättest und mir erzählen würdest, ich wäre
die erste Frau in deinem Leben.«
»Du bist es.«
»Ich bin es nicht;
aber wenn du meinetwegen für einige Zeit die Namen der andern vergessen hast,
ist das genug.«
»Wollen wir
fahren?«
Lillian schüttelte
den Kopf. »Noch nicht. Ich will mir nicht vormachen, daß die Zeit stillstehe.
Ich will sie fühlen und mich nicht betrügen. Sie stand still in den Wintern des
Sanatoriums; aber ich stand nicht still. Ich wurde an ihr entlanggerissen wie
an einer Eiswand, hin und her.«
»Stehst du jetzt
still?«
Sie
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