E.M. Remarque
flüchtig.
Nicht zum Essen. Ich bin daran vorbeigekommen.«
»Es ist ein
ausgezeichnetes Restaurant.«
Sie hörte das
Klappern der Teller und die Stimmen, bevor sie um die Ecke kamen.
»Sie lachen«, sagte
Peystre. »Warum?«
»Sie fragen mich
das schon zum zweiten Mal. Weil ich hungrig bin. Und weil ich weiß, daß ich
etwas zu essen bekommen werde.«
Der Wirt bediente
sie selbst. Er brachte Meertiere, frische, gebackene und gekochte, und einen
offenen weißen Wein. »Warum sind Sie allein hier?« fragte Peystre.
»Aus einer Laune;
aber ich fahre zurück.«
»Nach Paris?«
»Nach Paris.«
»Zu Clerfayt?«
»Auch das wissen
Sie schon? Ja, zu Clerfayt.«
»Hat das nicht noch
Zeit?« sagte Peystre behutsam.
Lillian lachte.
»Sie sind hartnäckig. Haben Sie ein Angebot?«
»Nein, wenn Sie
nicht wollen. Und wenn Sie wollen, ohne Bedingungen. Aber warum wollen sie sich
nicht wenigstens einige Zeit – sagen wir: umsehen?«
Ein Mann mit
Spielzeug kam an den Tisch. Er zog zwei Scotch Terriers aus Plüsch auf und ließ
sie über die Tischplatte spazieren. »Ich brauch' mich nicht mehr umzusehen«,
sagte Lillian. »Ich habe keine Zeit für Wiederholungen.«
Peystre nahm die
Plüschhunde und gab sie dem Mann zurück. »Sind Sie sicher, daß es immer
Wiederholungen sind?«
Lillian nickte
heiter. »Für mich schon. Änderungen in den Details sind unwichtig. Variationen
interessieren mich nicht.«
»Nur die Essenz?«
»Nur das, was ich
daraus machen kann. Und das wäre das gleiche, auch wenn der Mann sich änderte.
Das meinen Sie doch? Ich habe sehr einfache Reaktionen, scheint mir.«
Der Mann mit dem
Spielzeug stellte einen Hühnerhof auf den Tisch. Der Wirt kam, schob ihn weg
und servierte in Rum brennende Pfirsiche und Espresso.
»Haben Sie nie das
Gefühl, Sie könnten etwas versäumen?« fragte Peystre.
Lillian sah ihn an
und schwieg einen Augenblick.
»Was?« fragte sie
dann.
»Ein Abenteuer.
Eine Überraschung. Etwas Neues. Etwas, was Sie nicht kennen?«
»Das hatte ich, als
ich hierher kam. Ich hatte das Gefühl, New York, Yokohama, Tahiti, Apollo,
Dionysos, Don Juan und Buddha zu versäumen; – ich habe es jetzt nicht
mehr.«
»Seit wann nicht?«
»Seit ein paar
Tagen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich gelernt
habe, daß man nur sich selbst versäumen kann.«
»Wo haben Sie das
gelernt?«
»An meinem Fenster
im Hotel.«
»Jetzt frage ich
Sie zum dritten Male, warum Sie lächeln«, sagte Peystre.
»Weil ich atme.
Weil ich hier bin, weil es Abend ist, und weil wir Unsinn reden.«
»Ist es Unsinn?«
»Es ist immer
Unsinn. Gibt es hier Kognak?«
»Es gibt Grappa,
alten und sehr guten«, sagte Peystre. »Ich beneide sie.«
Lillian lachte.
»Sie haben sich
verändert«, sagte Peystre. »Sie sind anders als in Paris. Wissen Sie, was es
ist?«
Sie hob die
Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich eine Illusion aufgegeben
habe – die, daß man ein Anrecht auf das Leben habe –, und damit auch
wohl die vom Unrecht, das einen im Leben trifft.«
»Sehr unmoralisch.«
»Sehr«, wiederholte
Lillian und trank ihren Grappa aus. »Hoffentlich kann ich dabei bleiben. Wenigstens
für eine Zeitlang.«
»Es scheint, daß
ich zu spät gekommen bin«, sagte Peystre. »Ein paar Stunden oder ein paar Tage.
Wann fahren Sie? Morgen?«
»Übermorgen.«
»Es klingt so.
Schade.«
»Schade«, sagte
Lillian, »ist kein so trauriges Wort, wie man glaubt.«
»Gehört das auch zu
Ihren neuen Erkenntnissen?«
»Zu denen von
heute.«
Peystre schob ihren
Stuhl zurück. »Ich hoffe auf die von morgen.«
»Hoffen«, sagte
Lillian, »ist dagegen ein viel traurigeres Wort, als man glaubt.«
15
C lerfayt hatte sie in Paris
gesucht; dann hatte er angenommen, sie sei ins Sanatorium zurückgekehrt. Ein
Anruf belehrte ihn über seinen Irrtum. Er hatte sie weiter in Rom und
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