E.M. Remarque
Es war nichts Ernstes, was auf
der Bühne vor sich ging, das konnte man sehen – eine Komödie, Verführung,
Täuschung, etwas grausamer Spaß über einen Dummkopf, und Lillian wußte nicht,
was sich in ihr deswegen so rührte, daß es zu einem eigentümlichen Schluchzen
wurde und sie das Taschentuch an die Lippen nehmen mußte. Erst als es noch
einmal wiederkam und sie die dunklen Flecken in ihrem Taschentuch sah, wußte
sie es.
Sie blieb einen
Augenblick sitzen und versuchte, es zu unterdrücken; aber das Blut kam wieder.
Sie mußte hinausgehen, aber sie wußte nicht, ob sie es allein konnte. Sie bat
den Mann neben sich auf französisch, sie hinauszuführen. Er schüttelte unwillig
den Kopf, ohne sie anzusehen. Er folgte dem Stück und verstand nicht, was sie
wollte. Sie wandte sich an die Frau zu ihrer Linken. Verzweifelt suchte sie
nach dem italienischen Wort für Hilfe. Es fiel ihr nicht ein. »Misericordia«,
murmelte sie schließlich. »Misericordia, per favore!«
Die Frau blickte
erstaunt auf. »Are you sick?«
Lillian nickte, das
Taschentuch an den Lippen, und machte eine Bewegung, daß sie hinauswollte.
»Too many cocktails«,
sagte die blonde ältere Frau.
»Mario, darling, help
the lady to get some fresh air. What a mess!«
Mario
erhob sich. Er
stützte Lillian. »Just to the door«, flüsterte sie.
Er nahm ihren Arm
und brachte sie hinaus. Köpfe wandten sich flüchtig. Auf der Bühne feierte der
pfiffige Liebhaber gerade einen Triumph. Mario öffnete die Tür zum Foyer und
starrte Lillian an. Vor ihm stand plötzlich eine sehr blasse Frau in einem
weißen Kleid, der das Blut zwischen den Fingern auf die Brust tropfte. »But,
Signora, you are really sick«, sagte er fassungslos. »Shall I take you to a hospital?«
Lillian schüttelte
den Kopf. »Hotel Danieli. Einen Wagen – bitte –« würgte sie,
»Taxi ...«
»Aber Signora, in
Venedig gibt es kein Taxi! Nur eine Gondel! Oder ein Motorboot. Sie müssen in
eine Klinik.«
»Nein, nein! Ein
Boot. Zum Hotel. Dort ist sicher ein Arzt. Bitte – nur bis zu einem
Boot – Sie müssen doch zurück ...«
»Ach«, sagte Mario,
»Mary kann warten. Sie versteht ohnehin kein Wort Italienisch. Und das Stück
ist langweilig.«
Das blasse
pompejanische Rot des Foyers nach dem starken Rot der Vorhänge. Das Weiß der
Dekorationen. Türen. Stufen und Wind; dann ein Platz mit dem Geräusch von
Tellern, Gabeln, ein Restaurant auf der Straße mit Gelächter und dem Aufruhr
des Essens. Daran vorbei, zu einem finsteren, schlecht riechenden, schmalen
Kanal, aus dem ein Boot auftauchte und ein Fährmann, wie ein Ferge des Styx:
»Gondola, Signora, Gondola?«
»Ja! Rasch! Rasch!
Die Signora ist krank.«
Der Gondoliere
starrte. »Erschossen?«
»Frag nicht! Fahr
zu! Rasch!«
Der schmale Kanal.
Eine kleine Brücke. Häusermauern. Das Klatschen des Wassers. Der lang gezogene
Ruf des Gondolieres an den Kreuzungen. Vermoderte Stufen; verrottete Türen;
winzige Gärten mit Geranien; Zimmer mit Radios und nackten gelben Glühbirnen;
Wäsche, zum Trocknen aufgehängt; eine Ratte wie ein Seiltänzer an einem Hause
entlang balancierend; die scharfen Stimmen von Frauen, Geruch nach Zwiebeln und
Knoblauch und Öl und der schwere, tote Geruch des Wassers.
»Wir sind gleich
da«, sagte Mario.
Ein zweiter Kanal,
breiter. Dann die stärkeren Wellen, die Weite des Canale Grande. »Sollen wir
ein Motorboot anhalten?«
Sie lag auf den
hinteren Sitzen, schräg, wie sie hineingefallen war. »Nein«, flüsterte sie.
»Weiter! Nicht wechseln ...«
Die Hotels,
erleuchtet, die Terrassen, Vaporetti, fauchend, qualmend, voll von Passagieren,
Motorboote mit weißen Uniformen – wie einsam man war, mitten im süßen
Tumult des Daseins, wenn man um
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