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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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Es war nichts Erns­tes, was auf
der Büh­ne vor sich ging, das konn­te man se­hen – ei­ne Ko­mö­die, Ver­füh­rung,
Täu­schung, et­was grau­sa­mer Spaß über einen Dumm­kopf, und Lil­li­an wuß­te nicht,
was sich in ihr des­we­gen so rühr­te, daß es zu ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Schluch­zen
wur­de und sie das Ta­schen­tuch an die Lip­pen neh­men muß­te. Erst als es noch
ein­mal wie­der­kam und sie die dunklen Fle­cken in ih­rem Ta­schen­tuch sah, wuß­te
sie es.
    Sie blieb einen
Au­gen­blick sit­zen und ver­such­te, es zu un­ter­drücken; aber das Blut kam wie­der.
Sie muß­te hin­aus­ge­hen, aber sie wuß­te nicht, ob sie es al­lein konn­te. Sie bat
den Mann ne­ben sich auf fran­zö­sisch, sie hin­aus­zu­füh­ren. Er schüt­tel­te un­wil­lig
den Kopf, oh­ne sie an­zu­se­hen. Er folg­te dem Stück und ver­stand nicht, was sie
woll­te. Sie wand­te sich an die Frau zu ih­rer Lin­ken. Ver­zwei­felt such­te sie
nach dem ita­lie­ni­schen Wort für Hil­fe. Es fiel ihr nicht ein. »Mi­se­ri­cor­dia«,
mur­mel­te sie schließ­lich. »Mi­se­ri­cor­dia, per fa­vo­re!«
    Die Frau blick­te
er­staunt auf. »Are you sick?«
    Lil­li­an nick­te, das
Ta­schen­tuch an den Lip­pen, und mach­te ei­ne Be­we­gung, daß sie hin­aus­woll­te.
    »Too ma­ny cock­tails«,
sag­te die blon­de äl­te­re Frau.
    »Ma­rio, dar­ling, help
the la­dy to get so­me fresh air. What a mess!«
    Ma­rio
er­hob sich. Er
stütz­te Lil­li­an. »Just to the door«, flüs­ter­te sie.
    Er nahm ih­ren Arm
und brach­te sie hin­aus. Köp­fe wand­ten sich flüch­tig. Auf der Büh­ne fei­er­te der
pfif­fi­ge Lieb­ha­ber ge­ra­de einen Tri­umph. Ma­rio öff­ne­te die Tür zum Foy­er und
starr­te Lil­li­an an. Vor ihm stand plötz­lich ei­ne sehr blas­se Frau in ei­nem
wei­ßen Kleid, der das Blut zwi­schen den Fin­gern auf die Brust tropf­te. »But,
Si­gno­ra, you are re­al­ly sick«, sag­te er fas­sungs­los. »Shall I ta­ke you to a hos­pi­tal?«
    Lil­li­an schüt­tel­te
den Kopf. »Ho­tel Da­nie­li. Einen Wa­gen – bit­te –« würg­te sie,
»Ta­xi ...«
    »Aber Si­gno­ra, in
Ve­ne­dig gibt es kein Ta­xi! Nur ei­ne Gon­del! Oder ein Mo­tor­boot. Sie müs­sen in
ei­ne Kli­nik.«
    »Nein, nein! Ein
Boot. Zum Ho­tel. Dort ist si­cher ein Arzt. Bit­te – nur bis zu ei­nem
Boot – Sie müs­sen doch zu­rück ...«
    »Ach«, sag­te Ma­rio,
»Ma­ry kann war­ten. Sie ver­steht oh­ne­hin kein Wort Ita­lie­nisch. Und das Stück
ist lang­wei­lig.«
    Das blas­se
pom­pe­ja­ni­sche Rot des Foy­ers nach dem star­ken Rot der Vor­hän­ge. Das Weiß der
De­ko­ra­tio­nen. Tü­ren. Stu­fen und Wind; dann ein Platz mit dem Ge­räusch von
Tel­lern, Ga­beln, ein Re­stau­rant auf der Stra­ße mit Ge­läch­ter und dem Auf­ruhr
des Es­sens. Dar­an vor­bei, zu ei­nem fins­te­ren, schlecht rie­chen­den, schma­len
Ka­nal, aus dem ein Boot auf­tauch­te und ein Fähr­mann, wie ein Fer­ge des Styx:
»Gon­do­la, Si­gno­ra, Gon­do­la?«
    »Ja! Rasch! Rasch!
Die Si­gno­ra ist krank.«
    Der Gon­do­lie­re
starr­te. »Er­schos­sen?«
    »Frag nicht! Fahr
zu! Rasch!«
    Der schma­le Ka­nal.
Ei­ne klei­ne Brücke. Häu­ser­mau­ern. Das Klat­schen des Was­sers. Der lang ge­zo­ge­ne
Ruf des Gon­do­lie­res an den Kreu­zun­gen. Ver­mo­der­te Stu­fen; ver­rot­te­te Tü­ren;
win­zi­ge Gär­ten mit Ge­ra­ni­en; Zim­mer mit Ra­di­os und nack­ten gel­ben Glüh­bir­nen;
Wä­sche, zum Trock­nen auf­ge­hängt; ei­ne Rat­te wie ein Seil­tän­zer an ei­nem Hau­se
ent­lang ba­lan­cie­rend; die schar­fen Stim­men von Frau­en, Ge­ruch nach Zwie­beln und
Knob­lauch und Öl und der schwe­re, to­te Ge­ruch des Was­sers.
    »Wir sind gleich
da«, sag­te Ma­rio.
    Ein zwei­ter Ka­nal,
brei­ter. Dann die stär­ke­ren Wel­len, die Wei­te des Cana­le Gran­de. »Sol­len wir
ein Mo­tor­boot an­hal­ten?«
    Sie lag auf den
hin­te­ren Sit­zen, schräg, wie sie hin­ein­ge­fal­len war. »Nein«, flüs­ter­te sie.
»Wei­ter! Nicht wech­seln ...«
    Die Ho­tels,
er­leuch­tet, die Ter­ras­sen, Va­po­ret­ti, fau­chend, qual­mend, voll von Pas­sa­gie­ren,
Mo­tor­boo­te mit wei­ßen Uni­for­men – wie ein­sam man war, mit­ten im sü­ßen
Tu­mult des Da­seins, wenn man um

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