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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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re­dest du da?«
    »Nichts.« Lil­li­an
muß­te einen kur­z­en Zorn un­ter­drücken. Da stand die­ser rup­pi­ge Zwerg­hahn vor
ihr, un­ver­wüst­lich, ein Cham­pi­on über ei­ne Renn­stre­cke von drei­ßig Zen­ti­me­tern,
er war alt, aber er wür­de be­stimmt noch ei­ni­ge Jah­re län­ger le­ben als sie, er
wuß­te al­les, hat­te über al­les ein Ur­teil und war mit sei­nem Gott auf du und du.
    »On­kel Gas­ton«,
sag­te sie, »wenn du dein Le­ben noch ein­mal le­ben könn­test, wür­dest du es an­ders
le­ben?«
    »Selbst­ver­ständ­lich!«
    »Wie?« frag­te
Lil­li­an mit schwa­cher Hoff­nung.
    »Ich wür­de
selbst­ver­ständ­lich nicht in die Ab­wer­tung des Fran­cs ge­ra­ten sein. Schon 1914
hät­te ich ame­ri­ka­ni­sche Ak­ti­en ge­kauft – dann spä­tes­tens 1938 ...«
    »Gut, On­kel
Gas­ton«, un­ter­brach Lil­li­an. »Ich ver­ste­he.« Ihr Zorn war ver­flo­gen.
    »Du ver­stehst gar
nichts. Sonst wür­dest du nicht mit dem biß­chen Geld, das du noch hast, so
wirt­schaf­ten! Na­tür­lich, dein Va­ter ...«
    »Ich weiß, On­kel
Gas­ton. Ein Ver­schwen­der! Aber es gibt noch einen viel grö­ße­ren als ihn.«
    »Wen?«
    »Das Le­ben. Es
ver­schwen­det dich und mich und al­le an­de­ren.«
    »Pap­per­la­papp! Das
ist Sa­lon-Bol­sche­wis­mus! Ge­wöh­ne dir das ab. Das Le­ben ist zu ernst da­für.«
    »Das ist es. Man
muß sei­ne Rech­nun­gen be­zah­len. Gib mir Geld. Und tu nicht so, als sei es dein
ei­ge­nes. Es ist mei­nes.«
    »Geld! Geld! Das
ist al­les, was du vom Le­ben kennst!«
    »Nein, On­kel
Gas­ton. Das ist al­les, was du kennst!«
    »Sei froh! Sonst
hät­test du längst nichts mehr.«
    Gas­ton schrieb
wi­der­wil­lig einen Scheck aus. »Und spä­ter?« frag­te er bit­ter, wäh­rend er das
Pa­pier in der Luft schwenk­te, um die Tin­te zu trock­nen. »Was wird spä­ter?«
    Lil­li­an sah ihm
fas­zi­niert zu. Ich glau­be, er will so­gar das Lösch­pa­pier spa­ren, dach­te sie.
»Es gibt kein Spä­ter«, sag­te sie.
    »Das be­haup­ten
al­le. Und dann kom­men sie, wenn sie nichts mehr ha­ben, und man muß sei­ne
ei­ge­nen klei­nen Er­spar­nis­se ...«
    Der Zorn war
plötz­lich wie­der da, klar und hef­tig. Lil­li­an riß ih­rem On­kel den Scheck aus
der Hand.
    »Lass das Jam­mern! Und
geh und kauf dir ame­ri­ka­ni­sche Ak­ti­en, du Pa­tri­ot!«
    Sie ging die nas­sen
Stra­ßen ent­lang. Es hat­te ge­reg­net, wäh­rend sie bei Gas­ton ge­we­sen war, aber
jetzt schi­en die Son­ne wie­der und spie­gel­te sich auf dem As­phalt und in den
Pfüt­zen am Ran­de der Stra­ße. So­gar in den Pfüt­zen spie­gelt sich der Him­mel,
dach­te sie und muß­te la­chen. Viel­leicht spie­gel­te Gott sich dann auch so­gar in
On­kel Gas­ton. Aber wo in ihm? Er war schwe­rer zu fin­den in Gas­ton als das Blau
und das Glit­zern des Him­mels in dem schmut­zi­gen Was­ser, das zu den Ka­nallö­chern
ab­floss. Er war schwe­rer zu fin­den in den meis­ten Men­schen, die sie kann­te. Sie
hock­ten in ih­ren Bü­ros hin­ter ih­ren Schreib­ti­schen, als wä­ren sie dop­pel­te
Me­thu­sa­lems, das war ihr trost­lo­ses Ge­heim­nis! Sie leb­ten, als gä­be es kei­nen
Tod. Aber sie ta­ten es wie Krä­mer, nicht wie Hel­den. Sie hat­ten das tra­gi­sche
Wis­sen um das En­de ver­drängt und spiel­ten Vo­gel Strauß und klein­bür­ger­li­che
Il­lu­si­on vom Ewi­gen Le­ben. Mit wa­ckeln­den Köp­fen ver­such­ten sie sich am Gra­be
ge­gen­sei­tig noch zu be­trü­gen und das auf­zu­häu­fen, was sie am frü­he­s­ten zu
Skla­ven ih­rer selbst ge­macht hat­te: Geld und Macht.
    Sie nahm einen
Hun­dert­fran­cs-Schein, be­trach­te­te ihn und warf ihn mit ei­nem Ent­schluß in die
Sei­ne. Es war ei­ne sehr kin­disch-sym­bo­li­sche Hand­lung des Pro­tes­tes, aber das
war ihr gleich. Es tat ihr gut, es zu tun. Den Scheck On­kel Gas­tons warf sie
oh­ne­hin nicht weg. Sie ging wei­ter und kam zum Bou­le­vard St.-Mi­chel. Der
Ver­kehr tos­te um sie her­um. Men­schen rann­ten, dräng­ten sich, hat­ten es ei­lig,
die Son­ne blitz­te auf Hun­der­ten von Au­to­mo­bil­dä­chern, Mo­to­ren tob­ten, über­all
gab es Zie­le, die so rasch wie mög­lich er­reicht wer­den muß­ten, und je­des die­ser
klei­nen Zie­le ver­deck­te das

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