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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
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Fens­ter im
Ro­sen­quarz­licht des Nach­mit­tags und dach­te an ei­ne Be­mer­kung, die sie in
Si­zi­li­en von ei­nem eng­li­schen Fah­rer ge­hört hat­te: daß la­tei­ni­sche Völ­ker
kei­nen Hu­mor hät­ten. Sie brauch­ten kei­nen, dach­te sie, sie hat­ten die­se Form,
das Le­ben zu be­ste­hen, längst hin­ter sich. Hu­mor war ei­ne Blü­te zi­vi­li­sier­ter
Bar­ba­rei; das acht­zehn­te Jahr­hun­dert hat­te we­nig da­von, da­für viel von der
Cour­toi­sie, das zu igno­rie­ren, was es nicht be­wäl­ti­gen konn­te. Die zum To­de
Ver­ur­teil­ten der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on gin­gen mit ex­qui­si­ten Ma­nie­ren zum
Scha­fott, nicht la­chend; sie gin­gen, als gin­gen sie zu Hof.
    Ma­rio brach­te ihr
einen Ro­sen­kranz, der vom Papst ge­weiht war, und ein ge­mal­tes ve­ne­zia­ni­sches
Käst­chen für Brie­fe.
    »Ich kann dir
nichts zu­rück­ge­ben, Ma­rio«, sag­te sie.
    »Ich will auch
nichts zu­rück­ha­ben. Es ist gut, et­was schen­ken zu kön­nen, an­statt im­mer von
Ge­schen­ken le­ben zu müs­sen.«
    »Mußt du?«
    »Mein Be­ruf ist zu
ein­träg­lich, um dar­auf zu ver­zich­ten. Aber er ist nicht leicht. Er ist ei­ne
Ar­beit. Es ist so an­ge­nehm, daß du nichts von mir willst.«
    Das Ge­sicht, das
Lil­li­an in der Hal­le des Ho­tels ge­se­hen hat­te, als Ma­rio sie her­ein­brach­te, war
das des Vi­com­te de Peystre ge­we­sen. Er hat­te sie er­kannt und am nächs­ten Ta­ge
be­gon­nen, ihr Blu­men zu schi­cken.
    »Warum sind Sie im
Ho­tel?« frag­te er, als sie ihn end­lich an­rief.
    »Ich lie­be Ho­tels.
Wol­len Sie mich in ei­ne Kli­nik schi­cken?«
    »Na­tür­lich nicht.
Kli­ni­ken sind für Ope­ra­tio­nen. Ich has­se sie eben­so wie Sie. Aber ein Haus mit
ei­nem Gar­ten, an ei­nem der stil­len Kanä­le ...«
    »Ha­ben Sie auch
hier ei­nes? So wie die Woh­nun­gen in Pa­ris?«
    »Es wä­re nicht
schwer, eins zu fin­den.«
    »Ha­ben Sie eins?«
    »Ja«, sag­te
Peystre.
    Lil­li­an lach­te.
»Sie ha­ben über­all Woh­nun­gen, und ich will nir­gend­wo wel­che ha­ben. Wer von uns
wird sie leich­ter auf­ge­ben? Neh­men Sie mich lie­ber ir­gend­wo­hin zum Es­sen.«
    »Dür­fen Sie
hin­aus?«
    »Nicht un­be­dingt.
Das macht es eher aben­teu­er­lich, oder nicht?«
    Es macht es
aben­teu­er­lich, dach­te sie, als sie in die Hal­le hin­un­ter­kam. Wer dem Tod oft
ent­kommt, wird eben­so oft wie­der­ge­bo­ren und je­des Mal mit tiefe­rer Dank­bar­keit,
wenn er nur die Il­lu­si­on auf­gibt, einen An­spruch auf das Le­ben zu ha­ben.
    Sie blieb
über­rascht ste­hen. Das ist es! dach­te sie. Das ist das Ge­heim­nis! Muß­te ich
nach Ve­ne­dig kom­men, in die­ses zau­ber­haf­te Ho­tel mit den vie­len Nach­mit­tagen
aus Ver­mil­lon und Ko­balt­blau, um es zu fin­den?
    »Sie lä­cheln«,
sag­te Peystre. »Warum? Weil Sie Ih­ren Arzt be­trü­gen?«
    »Nicht mei­nen Arzt.
Wo­hin ge­hen wir?«
    »Zur Ta­ver­na. Wir
fah­ren von hier.«
    Der Sei­ten­ein­gang
des Ho­tels. Die schwan­ken­de Gon­del. Ein Au­gen­blick der Er­in­ne­rung und der
Übel­keit, der rasch vor­über­ging, als sie ein­stieg. Die Gon­del war kein
schwim­men­der Sarg; sie war auch kein schwar­zer Gei­er mehr, der mit me­tal­le­nem
Schna­bel nach ihr hack­te. Sie war ei­ne Gon­del, dunkles Sym­bol ei­ner einst so
über­mäch­ti­gen Le­bens­freu­de ei­ner Stadt, daß man ein Ge­setz hat­te er­las­sen
müs­sen, al­le Gon­deln dürf­ten nur noch schwarz sein, weil sich ih­re Be­sit­zer
sonst in Pracht­ver­schwen­dung rui­niert hät­ten.
    »Ich ken­ne Ve­ne­dig
nur von mei­nem Fens­ter«, sag­te Lil­li­an. »Und von ein paar Stun­den am ers­ten
Abend.«
    »Dann ken­nen Sie es
bes­ser als ich. Ich ken­ne es seit drei­ßig Jah­ren.«
    Der Ka­nal. Die
Ho­tels. Die Ter­ras­sen mit weiß­ge­deck­ten Ti­schen und Glä­sern. Das klat­schen­de
Was­ser. Der schma­le Ka­nal, wie das Ge­wäs­ser des Styx. Wo­her ken­ne ich das
al­les? dach­te Lil­li­an, einen Au­gen­blick be­klom­men. Muß­te jetzt nicht ein
Fens­ter mit Ka­na­ri­en­vo­gel­kä­fi­gen kom­men?
    »Wo liegt die
Ta­ver­na?« frag­te sie.
    »Ne­ben dem
Thea­ter.«
    »Hat sie ei­ne
Ter­ras­se?«
    »Ja. Wa­ren Sie
schon da?«
    »Sehr

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