E.M. Remarque
Gründe kann ich verzichten. Alles, was Gründe braucht,
ist schon suspekt.«
»Ist es dir auch suspekt, daß ich dich
anbete?«
Sie lachte. »Es ist etwas sinister. Wer so
leicht so hoch empfindet, muß etwas zu verstecken haben.«
Ich sah sie betroffen an. »Wie kommst du
darauf?«
»Nur so.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Warum nicht? Bist du nicht Robinson, der
sich immer wieder überzeugen muß, daß er Spuren im Sand gesehen hat?«
Ich antwortete nicht. Was sie gesagt hatte,
berührte mich tiefer, als ich erwartet hatte. War da, wo ich mir eingebildet
hatte, schon wieder Boden unter den Füßen zu haben, nur Geröll, das beim ersten
Schritt nachgeben würde? Übertrieb ich, um mich selbst glauben zu machen?
»Ich weiß es nicht, Natascha«, sagte ich
und versuchte meine Gedanken abzuschütteln. »Was ich weiß, ist dies: daß Gewohnheit
etwas ist, das mir bis jetzt versagt geblieben ist. Unglück, das man übersteht,
soll sich in Abenteuer verwandeln. Ich bin auch dessen nicht sicher. Wessen ist
man eigentlich sicher?«
»Was ist sicher?« fragte sie zurück.
Ich lachte. »Der Wodka hier im Glase, das
Stück Fleisch am Grill und wir beide im Augenblick, hoffe ich. Ich bete dich
trotzdem an, obschon es dir suspekt ist. Man kann gar nicht früh genug damit
anfangen.«
»Das ist recht. Das brauchen wir doch nicht
zu beweisen, wie? Die Hauptsache ist, daß wir es fühlen, oder nicht?«
»So ist es. Und auch damit kann man gar
nicht weit genug unten anfangen.«
»Wo?«
»Bei diesem Zimmer! Diesen Lampen! Diesem
Bett! Selbst wenn sie uns nicht gehören. Was gehört einem schon? Und für wie
lange? Alles ist geliehen und gestohlen und wird immer wieder gestohlen.«
Sie drehte sich um. »Man wird sich auch
selbst gestohlen?«
»Auch sich selbst.«
»Warum macht einen das nicht so
besinnungslos traurig, daß man Selbstmord begeht?«
»Weil man das immer noch tun kann. Und auf
eine viel subtilere Weise.«
»Ich kann mir denken, was du meinst.«
Sie kam um den Tisch herum. »Haben wir
nicht etwas zu feiern?«
»Was?«
»Daß du drei Monate länger in Amerika
bleiben kannst?«
»Das ist wahr.«
»Was hättest du getan, wenn die
Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert worden wäre?«
»Ich hätte versucht, eine
Einreisebewilligung nach Mexiko zu bekommen.«
»Warum nach Mexiko?«
»Weil die Regierung dort menschlich ist.
Sie hat auch die Flüchtlinge aus Spanien aufgenommen.«
»Kommunisten?«
»Menschen. Mit dem Wort Kommunisten ist man
heute überall so schnell bei der Hand wie Hitler. Für den ist jeder, der gegen
ihn ist, ein Kommunist. Die Begriffe zu vereinfachen, ist die erste Tat aller
Diktatoren.«
»Laß uns nicht über Politik reden. Hättest
du aus Mexiko nach Amerika zurückkommen können?«
»Nur mit Papieren. Und auch dann nicht,
wenn ich hier einmal ausgewiesen bin. Ist jetzt Schluß mit dem Verhör?«
»Noch nicht. Warum haben sie dich hier
gelassen?«
Ich lachte. »Das ist eine verzwickte Sache.
Stünde Amerika nicht mit Deutschland im Krieg, hätte man mich wahrscheinlich
nicht hereingelassen oder mich wieder ausgewiesen. So profitiere ich von einer
Antithese. Eine der vielen Ironien, die sich bei großen Unglücken ergeben. Wenn
es die nicht gäbe, wären viele Leute meiner Art nicht mehr am Leben.«
Sie setzte sich neben mich. »Du scheinst
ein ziemlich schwer zu fassender Typ zu sein.«
»Leider.«
»Ich habe dabei das dunkle Gefühl, daß du
es genießt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Natascha.
Ich mache mir das nur vor.«
»Du machst es dir ganz gut vor.«
»So wie Kahn, oder? Es gibt aktive und
passive Emigranten. Kahn und ich wollen lieber aktiv sein. Wir waren es in
Frankreich. Wir mußten es sein. Anstatt zu weinen über unser Los, versuchten
wir, es so oft wir konnten, ein Abenteuer zu nennen. Es war ein
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