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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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et­was Un­an­stän­di­ges vor
all den an­de­ren Emi­gran­ten ver­ber­gen muß­te. Bet­ty hat­te mit ih­rem Heim­weh nach
dem Kur­fürs­ten­damm schon oft Ver­ach­tung ge­fun­den als ei­ne sen­ti­men­ta­le Sa­rah,
die die Fü­ße ih­rer Mör­der küs­sen woll­te. Jetzt aber, wo die Ner­ven der
Ver­trie­be­nen oh­ne­hin mit Hoff­nung, Ab­scheu und Furcht zum Zer­rei­ßen ge­spannt
wa­ren – wo­zu auch der Zwie­spalt zähl­te, daß je­de Bom­be, die auf die
ehe­ma­li­ge Hei­mat fiel, ih­ren frü­he­ren Be­sitz ver­wüs­te­te und da­her gleich­zei­tig
er­sehnt und ver­flucht wur­de –, jetzt hiel­ten Hoff­nung und Angst ei­ne
un­glei­che Waa­ge, je­der muß­te da­mit für sich selbst fer­tig wer­den, und am
ein­fachs­ten wa­ren die dar­an, bei de­nen der Haß so groß war, daß er al­le
schwä­che­ren Stim­men, die des Mit­leids mit den Un­schul­di­gen, die der all­ge­mei­nen
Barm­her­zig­keit und die der Mensch­lich­keit über­tön­te. Trotz­dem wa­ren vie­le da,
die sich nicht mit der Ver­dam­mung ei­nes gan­zen Vol­kes zu­frie­den ge­ben konn­ten.
Es reich­te ih­nen nicht aus, zu sa­gen, das Volk ha­be die­ses Un­glück über sich
selbst ge­bracht durch sei­ne schau­er­li­chen Schand­ta­ten oder zu­min­dest durch die
Träg­heit des Her­zens, das un­zer­stör­ba­re deut­sche gu­te Ge­wis­sen und die
fürch­ter­li­che Recht­ha­be­rei, die Hand in Hand geht mit dem deut­schen Trau­ma, daß
Be­fehl Recht sei und von je­der Ver­ant­wor­tung ent­bin­de. Es war frei­lich ei­ne der
lie­bens­wer­tes­ten jü­di­schen Ei­gen­schaf­ten, Ver­ständ­nis nur für den an­de­ren zu
ha­ben, ei­ne Ei­gen­schaft, die mich schon oft zu zor­ni­ger Ver­zweif­lung ge­bracht
hat­te. Wo man Haß er­war­te­te und ihn auch fand, tauch­te nach kur­z­er Zeit schon
wie­der das Ver­ste­hen auf. Mit dem Ver­ste­hen schon die scheu­en Ent­schul­di­gun­gen.
Wäh­rend den Mör­dern noch die blu­ti­gen Mäu­ler trief­ten, ka­men schon die
Ent­las­tungs­zeu­gen. Es war ei­ne Na­ti­on von Ver­tei­di­gern, nicht von An­klä­gern.
Ei­ne Na­ti­on von Lei­den­den, nicht von Rä­chern. Die Mak­ka­bä­er wa­ren sel­ten.
    Bet­ty Stein schlepp­te ihr
lei­den­schaft­li­ches, sen­ti­men­ta­les Ge­müt un­glück­lich in die­sem Wirr­warr hin und
her. Sie ent­schul­dig­te sich, klag­te an, ent­schul­dig­te sich wie­der und wur­de
plötz­lich von dem fahls­ten al­ler Ge­spens­ter ge­hetzt: der Furcht vor dem To­de.
    »Wie geht es denn Ih­nen, Ross?« frag­te sie.
    »Gut, Bet­ty. Sehr gut.«
    »Das ist er­freu­lich!« Ich sah, wie selbst
das die Hoff­nung in ihr wie­der auf­lo­dern ließ. Wenn es je­mand gut ging, war das
schon ein Grund zu hof­fen, daß es auch ihr gut gin­ge. »Das freut mich«, sag­te
sie. »Sehr gut, sag­ten Sie?«
    »Sehr gut, Bet­ty.«
    Sie nick­te be­frie­digt. »Sie ha­ben in Ber­lin
den Oli­va­er Platz bom­bar­diert«, flüs­ter­te sie. »Wis­sen Sie das?«
    »Sie bom­bar­die­ren ganz Ber­lin, nicht nur
den Oli­va­er Platz.«
    »Ich weiß. Aber der Oli­va­er Platz! Wir
wohn­ten da.« Sie sah sich scheu um. »Die an­de­ren är­gern sich, wenn ich dar­über
re­de. Un­ser schö­nes, al­tes Ber­lin.«
    »Es war ei­ne ziem­lich scheuß­li­che Stadt«,
er­wi­der­te ich vor­sich­tig. »Ver­gli­chen mit Pa­ris oder Rom. Ich mei­ne bau­lich,
Bet­ty.«
    »Glau­ben sie, daß ich lan­ge ge­nug le­ben
wer­de, um zu­rück­zu­ge­hen?« – »Na­tür­lich. Warum nicht?«
    »Es wä­re doch schreck­lich, wo ich so lan­ge
ge­war­tet ha­be.«
    »Es wird et­was an­ders sein, als wir es in
Er­in­ne­rung ha­ben«, sag­te ich.
    Sie dach­te dar­über nach. »Et­was wird ste­hen
ge­blie­ben sein. Und nicht al­le wa­ren Na­zis.«
    »Nein«, sag­te ich und er­hob mich. Die­se Art
von Kon­ver­sa­ti­on konn­te ich nicht lan­ge er­tra­gen. »Dar­über kön­nen wir viel
spä­ter noch ein­mal nach­den­ken, Bet­ty.«
    Ich ging in das an­de­re Zim­mer hin­über.
Tan­nen­baum saß dort und hat­te ein Pa­pier in der Hand, aus dem er vor­las.
Grä­fen­heim und Ra­vic wa­ren bei ihm. Kahn trat ge­ra­de ein.
    »Die Blut­lis­te«, er­klär­te Tan­nen­baum.
    »Was ist denn das?«
    »Ich ha­be hier

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