E.M. Remarque
eine Liste der Leute in
Deutschland zusammengestellt, die erschossen werden müssen.« Tannenbaum nahm
ein Stück Apfelstrudel.
Kahn überflog die Liste. »Gut«, sagte er.
»Sie wird natürlich noch erweitert«, erklärte
Tannenbaum.
»Auch gut«, erwiderte Kahn.
»Von wem?«
»Jeder kann Vorschläge machen.«
»Und wer wird die Erschießungen ausführen?«
»Ein Komitee. Man muß es bilden. Das ist
einfach.«
»Werden Sie der Leiter des Komitees sein?«
Tannenbaum schluckte kurz. »Ich stelle mich
zur Verfügung.«
»Wir können das einfacher haben«, sagte
Kahn. »Machen wir einen Pakt. Sie erschießen den ersten auf der Liste, ich alle
andern. Einverstanden?«
Tannenbaum schluckte wieder. Gräfenheim und
Ravic sahen ihn an. »Ich meine damit«, sagte Kahn scharf, »Sie erschießen den
ersten mit eigener Hand. Nicht durch ein Komitee, hinter dem man sich
verstecken kann. Einverstanden?«
Tannenbaum antwortete nicht. »Es ist Ihr
Glück, daß Sie schweigen«, erklärte Kahn. »Hätten Sie geantwortet: Einverstanden,
hätte ich Ihnen eine heruntergehauen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich
dieses blutrünstige Salongeschwätz hasse. Bleiben Sie bei der Schauspielerei.
Etwas anderes wird ohnehin nie daraus.«
Er ging zu Betty in das Schlafzimmer.
»Manieren wie ein Nazi«, murmelte Tannenbaum hinter ihm her.
***
Ich ging mit Gräfenheim
fort. Er wohnte jetzt in New York, war in einem Hospital als Assistenzarzt
angestellt, der nicht praktizieren durfte, und bezog sechzig Dollar im Monat
mit Unterkunft im Hospital und freier Kost. »Kommen Sie noch einen Sprung zu
mir«, sagte er.
Ich ging mit. Der Abend war lau und nicht
so heiß wie sonst. »Was ist mit Betty?« fragte ich. »Oder dürfen Sie das nicht
sagen?«
»Fragen Sie Ravic.«
»Der wird mir raten, Sie zu fragen.«
Er zögerte eine Weile. »Man hat sie
aufgemacht und wieder zugenäht, nicht wahr?« fragte ich.
Er sagte nichts.
»Ist sie früher schon einmal operiert
worden?«
»Ja«, erwiderte er.
Ich fragte nicht weiter. »Arme Betty«,
sagte ich. »Wie lange kann es noch dauern?«
»Das weiß man nicht. Es kann schnell gehen
und langsam.«
Wir kamen im Hospital an. Gräfenheim führte
mich auf sein Zimmer. Es war klein, sehr einfach und enthielt ein großes,
geheiztes Aquarium. »Eine Extravaganz«, sagte er. »Ich habe sie mir geleistet,
als Kahn mir das Geld brachte. In Berlin hatte ich das ganze Wartezimmer voller
Aquarien. Ich habe Zierfische gezüchtet.« Er sah mich mit seinen kurzsichtigen
Augen entschuldigend an. »Ein jeder hat sein Steckenpferd.«
»Wenn der Krieg vorbei ist«, sagte ich,
»möchten Sie nach Berlin zurückgehen?«
»Meine Frau ist noch da.«
»Haben Sie je wieder etwas von ihr gehört?«
»Wir haben abgemacht, uns nicht zu
schreiben. Die Post wurde überwacht. Ich hoffe, sie ist aus Berlin
herausgekommen. Glauben Sie, daß man sie noch eingesperrt hat?«
»Nein. Warum sollte man?«
»Glauben Sie, daß die so fragen?«
»Manche schon. Die Deutschen sind
Bürokraten, auch im Unrechttun. Sie glauben, dadurch würde es Recht.«
»Es ist schwer, so lange zu warten«, sagte
Gräfenheim. Er nahm einen gläsernen Apparat, mit dem man den Schlamm vom Grunde
des Aquariums hochziehen konnte, ohne das Wasser zu trüben.
»Meinen Sie, daß man sie aus Berlin
herausgelassen hat? Irgendwohin, nach Mitteldeutschland?«
»Das ist möglich.«
Ich wurde mir der Ironie dieser Situation
bewußt – Betty, die von Gräfenheim getäuscht wurde, und Gräfenheim, den
ich täuschen mußte. »Daß man so gar nichts tun kann!« sagte Gräfenheim.
»Wir sind Zuschauer, das ist wahr«,
erwiderte ich. »Verdammte Zuschauer, die beneidet werden könnten, weil man sie
nicht mitmachen lassen will. Das ist es, was
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