E.M. Remarque
Zeitlang. »Grämst
du dich sehr, Robert?« fragte sie dann.
»Das würde ich nie zugeben. Was bedeutet es
außerdem schon, sich zu grämen? Andere verlieren ihr Leben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was willst du
eigentlich, Robert?«
Ich blickte sie überrascht an. »Was ich
will?« wiederholte ich, um Zeit zu gewinnen. »Was meinst du damit?«
»Später. Was willst du tun? Wofür lebst
du?«
»Komm«, sagte ich. »Das sind keine
Badezimmergespräche! Heraus aus dem Wasser!«
Sie stand auf. »Wofür lebst du wirklich?«
fragte sie.
»Wer weiß das von sich? Weißt du es von
dir?«
»Ich brauche es nicht zu wissen. Ich bin
ein Reflex. Aber du!« – »Du bist ein Reflex?«
»Weiche nicht aus. Was willst du? Wofür
lebst du?«
»Ich höre die schweren Flügel der
Bürgerlichkeit um meine Ohren schlagen. Wer weiß so etwas wirklich? Und wenn er
es weiß, ist es dann auch schon nicht mehr wahr. Ich reise mit leichtem Gepäck,
das ist alles, vorläufig.«
»Du weißt es nicht.«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Ich
weiß es nicht, wie ein Bankier oder ein Priester es weiß. Ich werde es auch nie
so wissen.« Ich küßte sie auf die feuchten Schultern. »Ich bin es auch gar
nicht gewohnt, Natascha. Überleben war für so lange Zeit alles, und es war so
schwierig, daß man nicht dazu kam, für etwas zu leben. Bist du nun zufrieden?«
»Das ist nicht richtig, und du weißt es
auch. Aber du willst es mir nicht sagen. Vielleicht willst du es dir selbst
nicht sagen. Ich habe dich schreien gehört!«
»Was?«
Sie nickte. »Während du schliefst.«
»Was habe ich denn geschrien?«
»Das weiß ich nicht mehr. Ich schlief ja
und wachte davon auf.«
Ich atmete auf. »Jeder hat einmal schlechte
Träume.«
Sie antwortete nichts. »Ich weiß eigentlich
überhaupt nichts von dir«, sagte sie dann nachdenklich.
»Du weißt schon zuviel! Das schadet der
Liebe.« Ich nahm sie und drängte sie aus dem Badezimmer. »Inspizieren wir, was
in dem Küchenpaket ist. Du hast die schönsten Knie der Welt.«
»Du willst mich ablenken.«
»Warum sollte ich dich ablenken? Wir haben
ja sogar einen Pakt geschlossen. Du hast mich neulich noch daran erinnert.«
»Dieser Pakt! Das war doch nur ein Vorwand.
Wir wollten beide etwas vergessen. Hast du es vergessen?«
Mir war, als hätte ich plötzlich einen
kühlen Schlag aufs Herz bekommen. Nicht heftig, wie ich es erwartet hatte,
sondern kühl, als hätte eine Schattenhand danach gegriffen. Es war nur einen
Augenblick, aber die Kühle löste sich nicht auf. Sie blieb und wich erst
zögernd. »Ich hatte nichts zu vergessen«, sagte ich. »Ich habe gelogen.«
»Ich sollte dich keine so törichten Dinge
fragen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Vielleicht
kommt es daher, weil ich den ganzen Abend Anna Karenina war, mit Pelzen und dem
Gefühl, in einer Troika zu sitzen im Schnee mit aller Sentimentalität und der
Romantik einer Zeit, die wir nie gekannt haben. Vielleicht ist es der Herbst,
der mir soviel näher gekommen ist als dir. Im Herbst lösen sich alle Pakte, und
keiner ist mehr gültig. Man will – ja, was will man?«
»Liebe«, sagte ich und sah sie an. Sie
hockte etwas verloren auf dem Bett, überhaucht von Zärtlichkeit und dem weichen
Selbstmitleid eines Menschen, der damit nichts anzufangen weiß. – »Liebe,
die bleibt.«
Ich nickte. »Liebe mit Kaminfeuer,
Lampenglanz, Nachtwinden, fallenden Blättern und der Zuversicht, nichts
verlieren zu können.«
Natascha räkelte sich. »Ich bekomme bereits
wieder Hunger. Ist noch Gulasch da?«
»Für eine kleinere Kompanie. Willst du
tatsächlich nach der Sachertorte noch einmal Szegediner Gulasch essen?«
»Ich bin heute abend zu allem fähig.
Bleibst du über Nacht hier?«
»Ja.«
»Gut. Dann will ich dich nicht weiter mit
meinen unerfüllten Herbstillusionen quälen. Sie sind ohnehin
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