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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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war.
    Ich ge­hö­re zu ih­nen, dach­te ich, ich ge­hö­re
zu die­ser Hor­de von Mör­dern, es war mein Volk, ganz gleich, was ich mir am Ta­ge
auch vor­täu­schen moch­te, ganz gleich, ob sie mich ge­jagt und ver­sto­ßen und
aus­ge­bür­gert hat­ten, ich war un­ter ih­nen ge­bo­ren, und es war tö­richt, wenn ich
mir vor­ma­chen woll­te, daß ein treu­es, ehr­li­ches, un­wis­sen­des Volk durch
Le­gio­nen vom Mars über­fal­len und hyp­no­ti­siert wor­den sei. Die­se Le­gio­nen wa­ren
un­ter ihm selbst auf­ge­wach­sen, sie hat­ten sich aus brül­len­den
Ka­ser­nen­hof­schin­dern und to­ben­den Dem­ago­gen ent­wi­ckelt, es war der al­te, von
Ober­leh­rern an­ge­be­te­te fu­ror teu­to­ni­cus ge­we­sen, der zwi­schen
Ge­hor­sams­knech­ten, Uni­form­ver­göt­zern und vie­hi­schem Ata­vis­mus auf­ge­blüht war;
mit der ein­zi­gen Ein­schrän­kung frei­lich, daß das Vieh nie­mals so vie­hisch war.
Es war kei­ne Ein­zel­er­schei­nung! Die Wo­chen­schau­en mit ih­ren Zehn­tau­sen­den von
auf­ge­ris­se­nen, to­ben­den Mäu­lern zeig­ten nicht ein ge­dul­di­ges, un­wil­li­ges Volk,
dem be­foh­len wor­den war, es war das Ur­volk selbst, das jauchz­te, das die dün­ne
Schicht der Zi­vi­li­sa­ti­on durch­bro­chen hat­te und sich nun in sei­nem bar­ba­ri­schen
Blut-Kot wälz­te. Fu­ror teu­to­ni­cus! Hei­li­ges Wort mei­nes be­brill­ten
Voll­bart-Ober­leh­rers! Wie er es kos­te­te! Wie selbst Tho­mas Mann es noch
ge­kos­tet hat­te zu Be­ginn des ers­ten Krie­ges, als er die ›Ge­dan­ken zum Krie­ge‹
schrieb und ›Fried­rich und die Große Ko­ali­ti­on‹. Tho­mas Mann, der Hort und
Füh­rer der Emi­gran­ten. Wie tief muß­te die Bar­ba­rei sit­zen, wenn sie selbst in
die­sem hu­ma­nen und hu­ma­nis­ti­schen Dich­ter nicht ganz aus­ge­rot­tet war!
    Ich trat auf die Stra­ße. Die Nacht schlief
noch zwi­schen den Mau­ern. Ich wand­te mich zum Broad­way, auf der Su­che nach
Licht. Ein paar Bu­den mit Ham­bur­gers, die die gan­ze Nacht of­fen hat­ten,
schüt­te­ten ihr spar­sa­mes Licht über die Stra­ße. In ei­ni­gen hock­ten Leu­te auf
Bar­stüh­len wie ver­damm­te Geis­ter. Licht oh­ne Men­schen war ge­spens­ter­haf­ter als
Dun­kel, es war zweck­los in un­se­rem im­mer auf Zweck aus­ge­rich­te­ten Da­sein und
wirk­te mond­haft, als schie­ne es in Kra­tern, die in Häu­sern ein­ge­las­sen und
ver­las­sen wa­ren.
    Ich blieb vor ei­nem De­li­ka­tes­sen­ge­schäft ste­hen.
Im Fens­ter trau­er­ten Mor­ta­del­la-Würs­te und vie­le Kä­se­sor­ten. Ir­win Wolff hieß
der Be­sit­zer, der Eu­ro­pa wahr­schein­lich zur rech­ten Zeit ver­las­sen hat­te. Ich
starr­te auf den Na­men. Nicht ein­mal das hat­te ich als Aus­re­de. Nicht ein­mal
die­se künst­li­che Un­ter­schei­dung konn­te ich be­nut­zen! Ich konn­te nicht sa­gen,
daß ich ein Ju­de wä­re, ich konn­te mich dar­auf nicht be­ru­fen, um klar­zu­stel­len,
daß ich mit den Teu­to­nen nichts zu tun ha­be; ich konn­te sie nicht mit ih­ren
ei­ge­nen falschen Waf­fen schla­gen. Ich ge­hör­te zu ih­nen, ich war ei­ner der
Ih­ren, und wenn mir in die­sem neb­li­gen Mor­gen­grau­en Herr Ir­win Wolff plötz­lich
ge­gen­über­ge­tre­ten und mit ei­nem Mes­ser nach­ge­jagt wä­re, als ei­nem der Mör­der
sei­nes Vol­kes, so hät­te mich das in die­ser Stun­de nicht über­rascht.
    Ich ging wei­ter, über die nächt­li­che 20.
Stra­ße, ein Stück den Broad­way hin­auf, dann nach rechts zur Drit­ten Ave­nue. Ich
über­quer­te sie, ging wie­der zu­rück, den Broad­way ent­lang, des­sen Lich­ter
blas­ser ge­wor­den wa­ren, und dann hin­auf, bis ich zur Fifth Ave­nue ge­lang­te, die
schwei­gend und fast men­schen­leer war. Nur die Ver­kehrs­lich­ter funk­tio­nier­ten,
die gan­ze lan­ge Stra­ße wur­de nach ei­nem sinn­lo­sen, ent­mensch­ten Wil­len rot und
grün, so wie Völ­ker oh­ne Grund plötz­lich um­ge­schal­tet wur­den aus fried­li­chem Grün
in die düs­te­ren Fa­ckeln ki­lo­me­ter­wei­ten Rots. Über die­ser un­heim­li­chen
Land­schaft der Laut­lo­sig­keit be­gann lang­sam der Him­mel hö­her zu wach­sen. Die
Häu­ser wur­den eben­falls hö­her, sie scho­ben das Dun­kel an

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