E.M. Remarque
ich. »Ich wußte
nicht, daß Sie Surrealist sind.«
Vriesländer erschien, mit ihm die
Zwillinge, Carmen und einige andere Gäste. Die Zwillinge wie Quecksilber,
Carmen in tragisches Dunkel gehüllt, an einem Stück Nuß-Schokolade kauend. Ich
war neugierig, ob sie nach der Schokolade auch die Matjesheringe nehmen würde.
Sie tat es. Ihr Magen war ebenso unerschütterlich wie ihr Gehirn.
»In vierzehn Tagen gehe ich nach
Hollywood«, verkündete Tannenbaum laut, während das Gulasch ausgeteilt wurde.
Er blickte wie ein Pfau um sich – in Richtung der Zwillinge.
»Als was?« fragte Vriesländer.
»Als Schauspieler, als was sonst?«
Ich horchte auf. Ich glaubte ihm nicht; er
hatte das zu oft erwähnt. Aber er war schon einmal dagewesen für eine kleine
Rolle als Flüchtling in einem Anti-Nazi-Film. »Was spielen Sie?« fragte ich.
»Buffalo Bill?«
»Einen SS-Gruppenführer.«
»Was?«
»Sie als Jude?« fragte Frau Vriesländer.
»Warum nicht?«
»Mit dem Namen Tannenbaum?«
»Mein Künstlername ist Gordon T. Crow. T.
steht für Tannenbaum.«
Alle sahen ihn zweifelnd an. Es war zwar
öfter vorgekommen, daß Emigranten Nazis spielten, weil in der sehr pauschalen
Überlegung Hollywoods beide Europäer waren und sich damit, Freund oder Feind,
besser dafür eigneten als Stockamerikaner.
»SS-Gruppenführer?« sagte Vriesländer. »Das
ist bei denen ja soviel wie ein General!«
Tannenbaum nickte.
»Meinen Sie nicht Sturmbannführer?« fragte
ich.
»Gruppenführer! Warum nicht? In der
amerikanischen Armee gibt es doch auch jüdische Generale. Es kann sogar sein,
daß die Rolle noch angehoben wird. Zu einer Art Obergeneral.« – »Verstehen
Sie denn was davon?«
»Was ist da zu verstehen? Ich habe meine
Rolle. Natürlich ist der Mann ein Scheusal. Einen sympathischen Gruppenführer
hätte ich natürlich abgelehnt.«
»Gruppenführer!« sagte Frau Vriesländer.
»Ich hätte gedacht, ein so hohes Tier würde von Gary Cooper gespielt werden!«
»Die Amerikaner weigern sich, solche Rollen
zu spielen«, erklärte der kleine Vesel, ein Rivale Tannenbaums. »Es schadet
ihrer Reputation. Sie müssen sympathisch bleiben. Solche Rollen überlassen sie
den Emigranten. Und die spielen sie, weil sie sonst verhungern würden.«
»Kunst ist Kunst«, erwiderte Tannenbaum
hochmütig. »Würden Sie nicht Rasputin spielen oder Dschingis-Khan oder Iwan den
Schrecklichen?«
»Ist es eine Hauptrolle?« fragte ich.
»Natürlich nicht«, erwiderte Vesel rasch.
»Wie kann sie das sein? Die Hauptrolle spielt ein sympathischer Amerikaner mit
einer tugendhaften Amerikanerin. Muß er ja!«
»Streitet euch nicht!« mahnte Vriesländer.
»Helft euch lieber gegenseitig. Was gibt es zum Nachtisch?«
»Pflaumenkuchen und Sachertorte.«
Wie meistens, so wurden auch diesmal
Schüsseln vorbereitet, um sie nach Hause mitzunehmen. Ravic lehnte ab.
Tannenbaum und Vesel wollten Extraportionen der Sachertorte. Mir steckte die
Köchin, der ich heimlich zwei Dollar gegeben hatte, eine bequem tragbare
Henkelschüssel aus verzinntem Kupfer zu und eine verzierte Pappschachtel mit
Kuchen. Die Zwillinge bekamen eine Zwillingsschüssel. Carmen lehnte ab, sie war
zu faul zum Tragen.
Wir verabschiedeten uns wie die armen
Verwandten. »Wie kriegt man nur diese Zwillinge auseinander?« fragte
Gruppenführer Tannenbaum mich leise. »Sie essen zusammen, leben zusammen und
schlafen zusammen!«
»Das scheint mir kein großes Problem zu
sein«, erwiderte ich. »Ein Problem wäre es bei echten siamesischen Zwillingen.«
***
Natascha mußte an diesem
Abend zum Photographieren. Sie hatte mir den Schlüssel zur Wohnung gegeben,
damit ich auf sie
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