E.M. Remarque
Kalifornien könnte ich ihn
benützen, um eine weitere einmalige Zulage von Silvers zu erpressen, wenn er
verlangen sollte, daß ich ihn als Assistent des Louvre begleite.
***
Ich ging zu
Vriesländer, um ihm die ersten hundert Dollar des Geldes zu bringen, das er mir
für meinen Anwalt geliehen hatte.
»Setzen Sie sich«, sagte er und steckte das
Geld nachlässig in seine Brieftasche aus schwarzem Krokodilleder. »Haben Sie
schon gegessen?«
»Nein«, erwiderte ich sofort. Das Essen bei
Vriesländer war großartig.
»Dann bleiben Sie«, entschied er. »Es
kommen nur noch vier, fünf Gäste. Ich weiß nicht, wer. Fragen Sie meine Frau.
Wollen Sie einen Scotch?«
Vriesländer trank, seit er eingebürgert
war, nur noch Whisky. Ich hätte eher das Gegenteil erwartet – daß er
Whisky vorher getrunken hätte, um seinen guten Willen zu zeigen, ein echter
Amerikaner zu werden, und daß er hinterher zu Barack und Kümmel zurückkehrte.
Aber Vriesländer war ein besonderer Mensch. Dafür hatte er vor seiner
Einbürgerung mit ungarischem Akzent englisch gestottert und darauf bestanden,
daß auch seine Familie zu Hause englisch spräche, es gab sogar bösartige
Geschichten, daß er sogar im Bett darauf bestanden habe. Doch niemand konnte
das natürlich beweisen. Wenige Tage nach der Einbürgerung sprach man im Hause
Vriesländer wieder babylonisch: eine Mischung aus Deutsch, Englisch, Jiddisch
und Ungarisch.
»Meine Frau hat den Barack unter
Verwahrung«, erklärte Vriesländer. »Wir sparen ihn auf. Man kann ihn hier ja
kaum bekommen. Und wir müssen ihn abschließen. Die Köchin säuft ihn sonst aus.
Es ist ihre Art von Heimweh. Haben Sie auch Heimweh?«
»Wonach?«
»Nach Deutschland.«
»Nein. Ich bin ja kein Jude.«
Vriesländer lachte. »Da ist was dran.«
»Und wie viel«, sagte ich und dachte an
Betty Stein. »Die Juden waren die sentimentalsten Patrioten.«
»Wissen Sie, warum. Weil sie es bis 1933 in
Deutschland gut hatten. Der letzte Kaiser adelte sie. Er ließ sie sogar bei Hof
verkehren. Er hatte jüdische Freunde, der Kronprinz jüdische Geliebte.«
»Unter Seiner Majestät wären Sie vielleicht
auch noch Baron geworden«, sagte ich.
Vriesländer strich sich über den Kopf.
»Tempi passati!«
Er blickte einen Augenblick versonnen in
die Vergangenheit. Ich schämte mich meiner flegelhaften Bemerkung, aber er
hatte sie gar nicht zur Kenntnis genommen. Das konservative Blut eines Mannes,
der eine Villa an der Tiergartenstraße besessen, hatte ihn für einen besonnten
Moment überwältigt. »Damals waren Sie ja noch ein Kind«, sagte er. »Gut, lieber
junger Freund! Gehen Sie zu den Damen.«
Die ›Damen‹ bestanden aus Tannenbaum und,
zu meinem Erstaunen, Ravic, dem Chirurgen. »Sind die Zwillinge schon gegangen?«
fragte ich Tannenbaum. »Haben Sie die falsche Schwester in den Hintern
gezwickt?«
»Dummes Zeug! Glauben Sie übrigens, daß sie
nicht nur im Gesicht ähnlich sind, sondern auch ...«
»Natürlich.«
»Sie meinen im Temperament?«
»Da gibt es zwei Schulen.«
»Verflucht! Was meinen Sie dazu, Doktor
Ravic?«
»Nichts.«
»Um das so zu beantworten, braucht man kein
Doktor zu sein«, erwiderte Tannenbaum pikiert.
»Eben«, meinte Ravic ruhig.
Frau Vriesländer kam herein im Empirekleid,
hoch gegürtet, eine behäbige Madame de Staël. Ein Saphirarmband mit nußgroßen
Steinen rasselte an ihrem Arm. »Cocktails, meine Herren?«
Ravic und ich nahmen Wodka; Tannenbaum zu
unserem Entsetzen Chartreuse, gelb. »Zu Matjeshering?« fragte Ravic erstaunt.
»Zu Zwillingen«, erwiderte Tannenbaum immer
noch gekränkt. »Wer das eine nicht weiß, soll über das andere nicht reden!«
»Bravo, Tannenbaum«, sagte
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