E.M. Remarque
Militärwesen nicht viel mehr wußten, als daß man die Mütze nicht abnahm,
wenn man grüßte. Der Krieg hatte sich hier zu einer Art Wildwest umgewandelt,
und man hatte das Gefühl, daß die Komparsen eines Films ihre Uniformen auch
abends trugen. Wirklichkeit und Schein vermischten sich hier so vollkommen, daß
sie zu einer neuen Substanz wurden – so wie Kupfer und Zink zu Messing,
das aussah wie Gold. Es hatte nichts damit zu tun, daß Hollywood voll war von
großen Musikern, Dichtern und Philosophen, ebenso war es voll von Schwärmern,
von Sektierern und Schwindlern. Alle nahm es auf, und wer sich nicht beizeiten
rettete, verlor seine Identität, er mochte es glauben oder nicht. Das
abgegriffene Wort vom Verkauf der Seele an den Teufel galt hier wirklich. Aber
es war immer nur Kupfer und Zink, was hier zu Messing wurde und worüber
stimmungsvolle Klagen angestimmt wurden.
***
Wir saßen im Sand am
Strand von Santa Monica. Vor uns rollten die graugrünen Wellen des Stillen
Ozeans. Neben uns schrien Kinder. Hinter uns wurden in einer Holzbude Hummer
gekocht. Angehende Filmkomparsen stolzierten vorüber und hofften auf Entdeckung
durch einen Talentscout oder einen kommenden Regieassistenten. Die Kellnerinnen
in den Lokalen warteten alle auf ihren großen Augenblick: sie verbrauchten
Schminke, Lippenstifte und enge Hosen oder kurze Röcke ohne Zahl. Über allem
hing wie über einem Lotteriesaal die Erwartung des großen Treffers: für den
Film entdeckt zu werden.
»Tannenbaum?« sagte ich zweifelnd und
starrte auf ein Wesen in einer großkarierten Jacke, das dunkel vor der Sonne
auftauchte und den Horizont unterbrach.
»Persönlich«, erwiderte der Darsteller der
Nazi-Rollen würdig. »Sie wohnen im Garden of Allah, wie?«
»Woher wissen Sie das?«
»Es ist die Heimat der
Emigranten-Schauspieler.«
»Verdammt! Ich dachte, ich würde endlich
einmal entkommen. Wohnen Sie auch da?«
»Ich bin heute Mittag eingezogen.«
»Heute Mittag! Also vor zwei Stunden. Und
jetzt tummeln Sie sich bereits ohne Krawatte, in einem schreiendroten seidenen
Halstuch, orangefarbenen Haaren und gelbkarierter Sportjacke am Stillen Ozean?
Alle Achtung!«
»Man muß schnell sein. Ich sehe, Sie sind mit
Scott hier.«
»Sie kennen Scott bereits?«
»Natürlich. Ich war schon zweimal hier.
Einmal als Scharführer, das andere Mal als Sturmscharführer.«
»Ihre Karriere geht steil aufwärts. Jetzt
sind Sie Sturmbannführer?«
»Gruppenführer.«
»Drehen Sie schon?« fragte Scott.
»Noch nicht. Wir fangen nächste Woche an.
Jetzt haben wir Kostümproben.«
Kostümproben, dachte ich. Das, woran ich
nicht zu denken wagte und was ich aus meinen Träumen zu verbannen suchte, war
hier bereits Spiel geworden. Ich starrte Tannenbaum an und hatte plötzlich
einen Augenblick ungeheurer Befreiung. Ich sah die Unruhe des silbergrauen
Ozeans, das Gewoge aus Quecksilber und Blei, das den Horizont bedrängte, und
den lächerlichen Mann davor, für den sich die Katastrophe der Welt bereits zu
Kostümproben, Schminke und in ein Libretto verwandelt hatte, und mir war, als
zerrisse eine schwere Wolkendecke über mir. Vielleicht, dachte ich, vielleicht
gibt es das, daß man es nicht mehr ernst nimmt! Selbst wenn es nicht zur
Kostümprobe und zum Film reicht, aber vielleicht kann es so werden, daß es
nicht mehr wie ein riesiger Gletscher über einem hängt, darauf wartend, einen
in seinem Eis zu begraben!
»Wann sind Sie drüben weggegangen,
Tannenbaum?« fragte ich.
»Vierunddreißig.«
Ich wollte weiterfragen, aber ich besann
mich. Ich wollte wissen, ob er Verluste erlitten hatte, Verwandte, die nicht
mehr herausgekommen oder die ermordet waren – es war wahrscheinlich, aber
man konnte
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