E.M. Remarque
andere
Menschen glücklich sind.«
Wir sahen uns immer noch an. Es schien
leichter, im Spiegel zu antworten, als wenn man sich direkt ansah. »Du hast
mich neulich schon einmal so gefragt«, erwiderte ich.
»Damals hast du gelogen. Du dachtest, ich wollte
dir eine Szene machen, und dem wolltest du aus dem Wege gehen. Ich wollte dir
keine Szene machen.«
»Ich habe auch damals nicht gelogen«, sagte
ich fast automatisch und bereute es gleich danach. Leider hatte ich im Leben
einige Eigenschaften angenommen, die für meine Existenz wichtig waren, aber
nicht für mein Privatleben – dazu gehörte es auch, nie eine Lüge
einzugestehen. Es war ein gutes Prinzip im Kampf mit Behörden, aber nicht immer
eines beim Umgang mit Geliebten, obschon es auch da mehr Vorteile als Nachteile
hatte.
»Ich habe nicht gelogen«, sagte ich. »Ich
habe mich nur ungeschickt ausgedrückt. Wir haben aus einem romantischen
Jahrhundert eine Anzahl Begriffe übernommen, die viel differenzierter geworden
sind. Dazu gehört auch wohl der Begriff Glück. Wie leicht war man früher
glücklich! Und mit Glück meinte man das ganze Glück! Ich denke nicht an die
Schriftsteller und Falschmünzer, die mit ihren geschickten Lügen ganze Epochen
durcheinandergebracht haben – selbst sehr große waren wie hypnotisiert von
der leuchtenden, unwirklichen Kugel, die mit Flittergold überzogen war: Glück,
diese Panazee, dieses Allheilmittel für alle. Wer liebte, war glücklich, und
wer glücklich war, der war rundum glücklich.«
Natascha ließ meine Augen los und streckte
sich lang aus. »Ja, Professor«, murmelte sie. »Das ist sicher sehr gescheit,
aber glaubst du nicht auch, das andere war einfacher?«
»Das war es wahrscheinlich.«
»Es kommt doch nur darauf an, was man
glaubt. Was ist schon wahr? Was man fühlt, hat doch mit Wahrheit nichts zutun.«
Ich lachte. »Natürlich nicht.«
»Ihr bringt alles durcheinander. Wie schön
war das früher, als man zu einer Unwahrheit nicht Lüge sagte, sondern
Phantasie, und als Gefühl nur nach Intensität beurteilt wurde und nicht nach
moralischen Grundsätzen. Ich bin neugierig, wie du aus dem Schwindelnest
Hollywood zurückkommst! Dort wird man dir die volltönenden Klischees nur so vor
den Augen schwenken, als wären sie ein geplantes Bett mit Federn.«
»Woher weißt du das? Warst du dort?«
»Ja«, sagte Natascha. »Zum Glück war ich
nicht photogen.«
»Du nicht photogen?«
»Nein, was immer das heißt.«
»Wärst du sonst dort geblieben?«
Sie küßte mich. »Natürlich, mein deutscher
Hamlet. Jede Frau, die etwas anderes sagt, lügt. Glaubst du, mein Beruf sei
etwas so Erhabenes, daß ich ihn nicht aufgeben könnte? Ach, diese fetten
reichen Frauen, denen man vorschwindeln muß, Kleider für schlanke Personen
paßten auch ihnen! Und diese dünnen Bestien, die sich nicht trauen, einen
Geliebten zu haben, und die auch keinen finden können und dafür ihre Wut an
Menschen auslassen, die sich nicht wehren können!«
»Ich wollte, du könntest mitkommen«, sagte
ich ohne nachzudenken.
»Das geht nicht. Die Wintersaison geht an.
Und wir haben kein Geld.«
»Wirst du mich betrügen?«
»Natürlich«, sagte sie.
»Ist das natürlich?«
»Ich betrüge dich nicht, wenn du da bist.«
Ich sah sie an. Ich wußte nicht, ob sie
meinte, was sie sagte. »Wenn jemand nicht da ist, ist das, als käme er nie
wieder«, sagte sie. »Nicht sofort, aber sehr bald.«
»Wie bald?«
»Wie soll ich das wissen? Laß mich nicht
allein, und du brauchst mich nie zu fragen.«
»Das ist bequem«, sagte ich.
»Es ist einfacher«, erwiderte sie. »Wenn
jemand da ist, braucht man keinen andern. Wenn er nicht da ist, ist man allein,
und wer kann schon allein sein? Ich nicht.«
»Geht das so schnell?« fragte ich, nun doch
etwas beunruhigt. »Man
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