E.M. Remarque
Wirtin. Sie sah nach Hamburgern,
Wiener Würstchen und Dosengemüse aus. »Die Eier sind frisch«, erklärte Carmen
und deutete auf die Hühner. »Herrliche Omeletts!«
Es gelang mir, sie zu überreden, im Brown
Derby mit mir zu essen. »Es soll dort von Filmstars wimmeln«, sagte ich, um sie
anzureizen.
»Die können auch nicht mehr als eine
Mahlzeit zur selben Zeit essen.«
Ich wartete, bis Carmen sich angezogen
hatte. Sie besaß einen Gang, als hätte sie ihr Leben lang Körbe auf dem Kopf
getragen, biblisch und gelassen. Ich begriff Kahn nicht, ich begriff nicht, daß
er sie nicht längst geheiratet und mit ihr zu den Eskimos als Reisender für
Radios gezogen war – Eskimos, hatte ich gelesen, liebten einen anderen
Typ.
Als das Taxi vor dem Brown Derby hielt,
bekam ich Gewissensbisse. Ich sah, daß Leute in rohseidenen Anzügen erstarrten,
als sie Carmen erblickten. »Einen Augenblick«, sagte ich. »Ich will sehen, ob
wir Platz finden.«
Carmen blieb draußen stehen. Das Brown
Derby war voll von Verführern, aber es hatte noch ein paar leere Tische. »Alles
besetzt«, sagte ich, als ich wieder herauskam. »Leider. Haben Sie etwas
dagegen, wenn wir uns ein kleineres Lokal suchen?«
»Nicht das geringste. Es ist mir sogar
lieber.«
Wir gingen in ein Restaurant, das klein,
dunkel und leer war. »Wie finden Sie es in Hollywood, Carmen?« fragte ich. »Ist
es hier nicht viel langweiliger als in New York?«
Sie hob die wunderbaren Augen auf. »Darüber
habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Ich finde es scheußlich und langweilig«,
log ich. »Ich freue mich darauf, zurückzufahren.«
»Das kommt darauf an, wie man sich fühlt.
In New York hatte ich niemanden, mit dem ich richtig befreundet war. Hier habe
ich meine Wirtin. Wir verstehen uns großartig. Wir reden über alles. Und dann
habe ich Hühner gern. Die sind gar nicht so dumm, wie die meisten Menschen
glauben. In New York habe ich nie ein lebendes Huhn gesehen. Hier kenne ich sie
schon beim Namen, und sie kommen, wenn ich sie rufe. Und die Orangen! Ist das
nicht wunderbar, daß man sie einfach von den Bäumen pflücken und sie wirklich
essen kann!«
Ich verstand plötzlich, was Kahn an ihr
fesselte. Es war nicht nur ihre Simplizität und der Reiz, den die
unvorstellbaren Wege reiner Stupidität auf einen so aktiven Intellektuellen wie
Kahn ausübten, bei dem Aktion und Intellekt unlösbar verbunden waren; eine der
seltensten Mischungen, die ich je beobachtet hatte. Es war außerdem – ihm
wahrscheinlich nicht bewußt – die wilde Unschuld und der wilde Friede von
Carmens harmloser Welt, die freilich deshalb nicht so harmlos sein konnte, weil
sie in einem solchen Körper einfach nicht harmlos vorstellbar war. Man konnte
sich wohl eine idyllische Wiese mit Gänseblümchen und Primeln am Abhang eines
nicht aktiven Vulkans vorstellen, aber nicht den reinen Frieden unter
hymnensingenden Kaffeesachsen in einem Dorf bei Kötzschenbroda.
»Wie haben Sie meine Adresse gefunden?«
fragte Carmen, während sie an einem Hühnerbein nagte.
»Kahn hat mir geschrieben. Ihnen nicht?«
»Doch«, sagte Carmen kauend. »Ich weiß nie,
was ich ihm schreiben soll. Er ist so kompliziert.«
»Schreiben Sie ihm etwas über ihre Hühner.«
»Das versteht er nicht.«
»Ich würde das ruhig einmal versuchen. Oder
schreiben Sie ihm sonst etwas. Er freut sich bestimmt, wenn er etwas von Ihnen
hört.«
Sie schüttelte den Kopf. »Mit meiner Wirtin
ginge das viel besser. Kahn ist so schwierig. Ich verstehe ihn nie.«
»Wie geht es mit dem Film hier, Carmen?«
»Wunderbar. Ich bekomme mein Gehalt und
brauche nichts zu tun. Hundert Dollar in der Woche! Wo kriegt man das? Bei
Vriesländer bekam ich sechzig und mußte den ganzen Tag arbeiten. Außerdem
schrie er mich in einem fort an,
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