E.M. Remarque
wenn ich was vergessen hatte, der nervöse
Satan. Und Frau Vriesländer haßte mich. Nein, mir gefällt es hier gut.«
»Und Kahn?« sagte ich nach kurzem
Überlegen, obschon ich bereits wußte, daß es vergeblich war.
»Kahn? Der braucht mich nicht.« –
»Vielleicht doch.«
»Wozu? Um Eiscreme zu essen und auf die
Straße zu starren? Man weiß nie, was man mit ihm reden soll.«
»Trotzdem könnte er Sie brauchen, Carmen.
Wollen Sie nicht zurückgehen?«
Sie sah mich mit ihren tragischen Augen an.
»Zurück zu Vriesländer? Der hat doch ohnehin schon eine neue Sekretärin, die er
drangsalieren kann. Ich wäre ja verrückt! Nein, nein, ich bleibe hier, solange
ein Studio so dumm ist, mich für nichts zu bezahlen.«
Ich sah sie an. »Wie heißt Ihr Regisseur
eigentlich?« fragte ich behutsam.
»Der? Silvio Coleman. Ich habe ihn erst
einmal hier gesehen, für fünf Minuten. Komisch, was?«
»Ich höre, daß so etwas ziemlich oft
passiert«, sagte ich beruhigt. »Es ist sogar die Regel.«
***
Ich dachte über Kahns Brief
nach. Er beunruhigte mich. Ich schlief schlecht und erwartete einen der
scheußlichen Träume. Ich hatte ihn schon in der Nacht erwartet, nachdem ich die
Film-SS gesehen hatte, aber er war zu meinem Erstaunen ausgeblieben, und ich
hatte die Nacht ruhig geschlafen. Jetzt grübelte ich darüber nach, ob dies
darauf zurückzuführen war, daß der heftige Schock, den ich am Anfang gespürt,
sich in die lächerliche Film-Kostümprobe aufgelöst hatte, von der zum Schluß
nur noch die Beschämung übrig geblieben war, so hysterisch reagiert zu haben.
Ich dachte über den Schock nach, von dem Kahn geschrieben hatte. Mir schien in
dieser Nacht, daß ich weniger heftig reagieren sollte, um die Kraft zu
behalten, die ich später noch brauchte, wenn die Wirklichkeit über mich
hereinbrechen würde. Vielleicht war das in Hollywood hier ein Weg dazu, mich
dazu zu gewöhnen. Ich könnte mich vielleicht sogar so sehr daran gewöhnen, daß
die kleineren, falschen Schocks, die noch kämen, eine Antiwirkung hervorriefen,
eben weil sie sofort in Lächerlichkeit zerflattern würden. Ich mußte mich in
acht nehmen, kein hysterisches Wrack zu werden, das beim bloßen Anblick einer
Uniform schon das Zittern bekam. Dies schien mir frühmorgens, als ich unter den
raschelnden Palmen und dem hohen, fremden Himmel den Swimming-pool im Pyjama
umwanderte, eine eigenartige und sonderbare, aber vielleicht wirksame Lösung.
***
Tannenbaum kam mittags. »Was
haben Sie eigentlich gefühlt, als Sie das erstemal einen Film machten, in dem
Nazis vorkamen?« fragte ich.
»Ich habe nachts nicht schlafen können.
Aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Es ist das einfachste.«
»Ja«, sagte ich. »Das ist es.«
»Etwas anderes wäre es, wenn ich einen
Pronazifilm machte. Das ist natürlich ausgeschlossen. Ich glaube, so etwas kann
auch nicht mehr vorkommen. Nach dem, was über diese Schweine bekannt geworden
ist.« Tannenbaum zupfte ein rotgerändertes Taschentuch in seinem Sportjackett
zurecht. »Holt hat heute morgen mit Silvers gesprochen. Silvers hat nichts
dagegen, wenn Sie vormittags bei uns als Berater tätig sind. Er sagt, er
brauche Sie hauptsächlich nachmittags und abends.«
»Hat Holt mich bereits von ihm gekauft?«
fragte ich. »Es soll so etwas Ähnliches mit Stars in Hollywood geschehen.«
»Natürlich nicht. Er hat nur gefragt, weil
er Sie dringend braucht. Wir haben keinen Mann in Hollywood, der im KZ war, nur
Sie.«
Ich zuckte zusammen. »Hat Silvers ihm für
die Erlaubnis ein Ölbild verkauft?«
»Das weiß ich nicht. Holt hat sich gestern
Silvers' Bilder angesehen. Sie haben ihm sehr gefallen.«
Im Mittagsglast sah ich Holt in grünen
Slacks bereits den Schwimmingpool umkreisen. Er trug dazu ein
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