E.M. Remarque
reinkommen?«
Sie machte einen Schritt in das Zimmer.
»Sind Sie sicher, daß Sie im richtigen Zimmer sind?« fragte ich.
Sie lächelte. »Um diese Zeit ist das doch
fast egal, wie? Ich bin draußen eingeschlafen. Ich war sehr müde.«
»Waren Sie auf Scotts Party?«
»Ich weiß den Namen nicht. Jemand hat mich
mitgenommen. Aber jetzt sind alle fort. Ich muß warten, bis es Morgen wird. Ich
sah eben noch Licht bei Ihnen. Vielleicht kann ich hier auf einem Stuhl sitzen.
Draußen ist es feucht von Tau.«
»Sie sind keine Amerikanerin?« fragte ich
idiotisch.
»Mexikanerin. Von Guadalajara. Wenn ich nur
hier bleiben kann, bis ein Bus fährt.«
»Ich kann Ihnen einen Pyjama von mir
geben«, sagte ich. »Und eine Decke. Das Sofa ist groß genug für Sie. Drüben ist
das Badezimmer. Sie können sich dort umziehen. Ihr Kleid ist naß. Hängen Sie es
über einen Stuhl zum Trocknen.«
Sie warf mir einen Blick zu. »Sie kennen
Frauen, wie?«
»Nein. Ich bin nur praktisch. Sie können
auch ein heißes Bad nehmen, wenn Ihnen kalt ist. Sie stören hier niemand.«
»Danke vielmals. Ich werde sehr leise
sein.«
Sie ging durch das Zimmer. Sie war sehr
zierlich, mit schwarzen Haaren und schmalen Füßen, und sie erinnerte mich
unwillkürlich an das Insekt mit den durchsichtigen Flügeln. Ich sah nach, ob es
zurückgekommen war, aber ich konnte es nicht entdecken. Dafür war mir ein
anderes zugeflogen, ohne viele Worte, als wäre es das Selbstverständlichste von
der Welt. Vielleicht war es das auch. Ich hörte das Rauschen des Badewassers
mit einer merkwürdigen Rührung. Alles Selbstverständliche gab mir dieses Gefühl.
Ich war das Außergewöhnliche so sehr und schreckhaft gewohnt, daß die Stille
des Selbstverständlichen zu einem Abenteuer wurde. Trotzdem, oder auch deshalb,
versteckte ich den Barscheck, den Scott mir gegeben hatte und den ich Silvers
am Nachmittag übergeben wollte, zwischen zwei Büchern. Man soll das Schicksal
nicht zu sehr herausfordern.
***
Ich erwachte ziemlich spät. Das
Mädchen war nicht mehr da. Auf einer Serviette fand ich den Lippenstiftabdruck
ihres Mundes. Sie hatte ihn wahrscheinlich als einen stummen Gruß
zurückgelassen. Ich suchte nach dem Scheck. Er war noch da. Nichts fehlte. Ich
wußte nicht einmal genau, ob ich mit dem Mädchen geschlafen hatte. Ich
erinnerte mich nur daran, daß sie irgendwann vor meinem Bett gestanden hatte,
und ich glaubte, ihren nackten Körper kühl und glatt gefühlt zu haben; aber ich
war nicht sicher, ob es zu mehr gekommen war.
Ich fuhr zum Studio. Es war schon zehn Uhr,
aber ich fand, daß ich am Abend ja bereits zwei Stunden mit Holt verbracht
hatte, die ich abziehen konnte. Holt begann sofort mit mir die Szenen zu
diskutieren, die er gerade drehte. Ich hatte schon von draußen das
Horst-Wessel-Lied gehört. Holt wollte wissen, ob er es englisch oder deutsch
singen lassen sollte. Ich schlug deutsch vor. Er meinte, dann würde der
folgende englische Text sonderbar wirken. Wir probierten beides. Ich stellte
fest, daß die englisch sprechenden SS-Leute eine eigentümliche Wirkung auf mich
hatten. Sie lenkten den Schock, der sich regte, ab. Es war keine Wirklichkeit
mehr, die imitiert wurde, es war in dem Augenblick Theater, in dem die fremde
Sprache dazukam. Ich brachte Silvers nachmittags Scotts Scheck. »Die zweite
Zeichnung haben Sie nicht verkauft?« fragte er.
»Das sehen Sie doch«, erwiderte ich
ärgerlich. »Der Scheck wäre sonst doppelt so hoch.«
»Sie hätten lieber die andere verkaufen
sollen. Die Rötelzeichnung war wertvoller. Ein Anreiz, beide zusammen zu
verkaufen.«
Ich antwortete nicht. Ich sah ihn nur an.
Ich fragte mich, ob er jemals in seinem Leben gerade denken könnte, ohne einen
Trick zu gebrauchen. Wahrscheinlich würde er selbst vor seinem Tode
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