E.M. Remarque
Stanislawski-Methode. Ich muß meine
Rolle ganz fühlen, um gut zu sein. Wenn ich einen Mörder darstellen soll, muß
ich mich wie ein Mörder fühlen. Nun, und als Gruppenführer ...«
»Ich verstehe. Aber die Zwillinge sind doch
nie einzeln zu treffen. Darin besteht doch ihre Macht.«
Tannenbaum lächelte. »Für Tannenbaum ja,
aber nicht für einen Gruppenführer! Ich war in Uniform, als sie ankamen. Ich
habe sie in meinem Bungalow sofort angeschnauzt, daß ihnen fast die Ohren
abfielen, habe die eine eingeschüchtert zum Bekleidungsamt befohlen, um die
Kostüme zu probieren, die andere dabehalten, habe sie – noch immer in
Uniform – auf die Couch geworfen, die Tür abgeschlossen und bin dann wie
ein Gruppenführer über sie hergefallen. Und denken Sie: Anstatt mir das Gesicht
zu zerkratzen, war sie still wie eine Maus. So groß ist die Macht der Uniform.
Ich hätte es nie geglaubt. Sie?«
Ich dachte an den ersten Nachmittag im
Studio. »Doch«, sagte ich. »Aber was passiert, wenn Sie nicht mehr in Uniform
sind, sondern in Ihrem aufregenden Sportjackett?«
»Schon probiert«, sagte Tannenbaum. »Die
Aura bleibt. Vielleicht auch deshalb, weil es schon einmal geschehen ist. Auf
jeden Fall: Die Aura ist da.«
Ich verneigte mich vor dem Gruppenführer im
blauen Anzug. »Eine kleine Entschädigung für ein großes Unglück«, sagte ich.
»Immerhin. Es heißt, daß auch nach dem letzten furchtbaren Ausbruch des Vesuvs
Leute in der heißen Asche Eier gebraten haben.«
»So ist das Leben«, erklärte Tannenbaum.
»Da ist nur ein Haar in der Suppe. Ich weiß nicht, ob ich den richtigen
Zwilling erwischt habe.«
»Wieso? Die sind doch nicht zu unterscheiden.«
»Im Bett schon. Vesel hat mir erklärt,
einer sei ein Vulkan. Meiner ist eher ruhig.«
»Vielleicht kommt das von Ihrer Aura.«
Tannenbaums Gesicht hellte sich auf. »Das
ist möglich. Daran habe ich noch nicht gedacht. Aber was macht man da?«
»Warten Sie bis zum nächsten Film.
Vielleicht spielen Sie da einen Piraten oder einen Scheich.«
»Einen Scheich«, sagte Tannenbaum. »Einen
Scheich mit einem Harem. Nach der Stanislawski-Methode.«
***
Die Nacht war sehr ruhig, als
ich in den Garden of Allah kam. Es war noch nicht sehr spät, aber alles schien
zu schlafen. Ich setzte mich an den Swimming-pool und wurde auf einmal von
einer grundlosen Schwermut wie von einer Wolke überschattet. Ich blieb still
sitzen und wartete auf Gestalten, die hervorträten. Schatten der Erinnerung,
von denen ich erfahren könnte, woher diese Depression kam, von der ich sofort
wußte, daß sie nicht wie früher war. Es war nichts Niederdrückendes dabei,
nicht einmal Qual. Ich kannte Todesangst, die ebenfalls anders ist als alle
anderen Ängste und längst nicht immer die ängstlichste von allen. Diese
merkwürdige Stimmung glich ihr, aber sie war viel stiller. Sie war das
Stillste, was ich kannte, ohne Schmerz, eine Todestraurigkeit, die fast
leuchtete, durchsichtig, aber so, als würde alles dahinter unsicher. Ich
begriff, daß das Wort des Propheten, Gott käme nicht im Sturm, sondern in der
Stille, auch auf den Tod Anwendung finden kann und daß es dann ein willenloses,
sanftes Erlöschen gibt, namenlos und ohne Furcht. Ich blieb lange Zeit so
sitzen, bis ich spürte, daß das Leben beinahe unmerklich zurückkehrte, wie eine
allmählich sich belebende Flut nach einer lautlosen Ebbe. Schließlich erhob ich
mich, ging zurück in mein Zimmer und streckte mich auf dem Bett aus. Ich hörte
nur das leise Rascheln der Palmblätter und hatte das Gefühl, daß diese Stunde
der größte Gegensatz zur Zeit meiner Träume war, und daß sie etwas wie eine
metaphysische Balance in mein Leben gebracht hatte, von der ich wußte, daß sie
vorübergehend war und ohne Hoffnung, aber doch voll
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