E.M. Remarque
sagte ich zum zweiten Mal, aber
diesmal überrascht.
»Es wird klüger sein, in Europa
einzukaufen, als hier. Deshalb ist es gut, das Lager kleiner zu halten. Man muß
aufpassen, in solchen Situationen kann man Verluste und Gewinne haben.«
»Das verstehe selbst ich.«
»Es war so ähnlich nach dem ersten Krieg.
Damals verstand ich noch nichts davon. Ich machte große Fehler. Das darf nicht
noch einmal passieren. Wenn Sie deshalb noch schwebende Verhandlungen haben,
die am Preise gescheitert sind, könnte man jetzt nachgeben. Begründen Sie es
damit, daß die Kunden bei Barzahlung einen Nachlaß bekämen. Wir wären gerade
dabei, eine große Sammlung zu kaufen und brauchten deshalb bares Geld.«
Ich wurde plötzlich heiter. Reiner
Geschäftssinn, nicht durch Moralphrasen getrübt, hatte manchmal diese Wirkung
auf mich, besonders wenn er kaltblütig Katastrophen in Soll und Haben ummünzte.
Es war, als wenn tapfere Zwerge Gott regierten. »Wir müssen dabei natürlich
Ihre Provision entsprechend herabsetzen«, fügte Silvers noch hinzu.
Ich hatte darauf geradezu gewartet. Es gab
die letzte Würze; wie Knoblauch einem Hammelragout. »Natürlich«, erwiderte ich
fröhlich.
***
Ich zögerte, Natascha
anzurufen. Ich verschob es von Stunde zu Stunde. Unser Verhältnis war in den
letzten Wochen zu einer abstrakten Scheinbeziehung geworden. Sie hatte sich auf
ein paar Grüße und Postkarten beschränkt, und selbst bei ihnen hatte ich das
Gefühl von Verlogenheit gehabt. Es hat einfach nichts zu sagen gegeben, wenn
wir nicht zusammen waren, und es muß bei beiden von uns ähnlich gewesen sein.
Ich wußte nicht, was geschähe, wenn ich anriefe. Ich war so unsicher, daß ich
ihr nicht einmal meine Rückkehr mitgeteilt hatte. Ich hatte es vor, unterließ
es aber dann. Die Wochen und Monate waren in einer sonderbaren Unwirklichkeit
vorbeigeglitten – als wäre unser Verhältnis zufällig und ohne viele
Schmerzen zu Ende gegangen.
Ich fuhr zu Betty und erschrak, als ich sie
sah. Sie mußte zwanzig Pfund verloren haben. Die Augen starrten riesengroß aus
dem geschrumpelten Gesicht. Sie waren das einzige, was noch lebte. Der Rest des
Gesichtes hing herunter, übergroß geworden für die Knochen und die ermüdeten
Muskeln.
»Sie sehen gut aus, Betty.«
»Zu dünn, wie?«
»Zu dünn kann man heutzutage nicht sein. Es
ist die große Mode.«
»Betty wird uns alle überleben«, sagte
Ravic. Er kam aus dem dunklen Salon.
»Nicht Ross«, erklärte Betty mit
gespenstischem Lächeln. »Er sieht blühend aus. Braun und strotzend vor Leben.«
»Das ist in zwei Wochen vorüber, Betty. Es
ist Winter in New York.«
»Ich möchte auch ganz gern nach
Kalifornien«, sagte sie. »Jetzt im Winter muß es dort gesund sein. Aber es ist
soviel weiter entfernt als Europa!«
Ich sah mich um. Ich roch den Tod in den
Falten der Portieren. Der Geruch war noch nicht so stark wie der von den Haufen
von Toten im Krematorium. Dort war er auch anders gewesen, das Blut schon
geronnen, und der süßliche Geruch, der der starken Verwesung vorausgeht, hatte
den schärferen, etwas beißenden Oberton des Gases gehabt, das in den Lungen
zurückgeblieben war. Hier war es ein lauer, abgestandener, aber auch süßlicher
Geruch, der sich schon festgesetzt hatte und sich nur für Minuten durch das
Öffnen der Fenster und durch Lavendelwasser vertreiben ließ. Er kam wieder. Ich
kannte ihn. Der Tod hockte nicht mehr draußen vor dem Fenster, er war bereits
im Zimmer – noch in den Ecken, aber er wartete.
»Hier wird es jetzt so früh dunkel«, sagte
Betty. »Es macht die Nächte lang.« – »Sie müssen nachts das Licht brennen
lassen«, erklärte Ravic. »Man kann die Tageszeiten ignorieren, wenn man keinen
Beruf
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