E.M. Remarque
dem
die Straßen hoch voll Schnee lagen. Ein Schneesturm war am Tage vorher
niedergegangen, und die Stadt wurde aus den weißen Massen herausgegraben.
Hunderte von Lastwagen schleppten ihn in den Hudson und den Eastriver. Der Himmel
war sehr blau, und die Sonne schien eisig.
Die Kapelle des Beerdigungsinstitutes
konnte die Leute nicht fassen, die gekommen waren. Betty hatte vielen geholfen,
die sie lange vergessen hatten. Jetzt aber füllten sie die Reihen der
Pseudokirche, in der die Orgel stand, die keine Orgel war, sondern eine
Grammophonanlage, und die Platten spielte mit den Stimmen von Sängern und
Sängerinnen, die tot waren und so die Überreste eines Deutschland, das nicht
mehr existierte. Richard Tauber sang deutsche Volkslieder, ein jüdischer Sänger
mit einer der lyrischsten Stimmen der Welt, hinausgeworfen von den Barbaren, an
Lungenkrebs in England gestorben. Er sang: Ach, wie ist's möglich dann, daß ich
dich lassen kann, hab dich von Herzen lieb, nur dich allein. Es war schwer zu
ertragen, aber es war Bettys Wunsch gewesen. Sie wollte nicht auf englisch
scheiden. Ich hörte hinter mir ein schnaubendes Schluchzen und sah, daß es
Tannenbaum war. Er sah hohläugig und grau aus und war nicht rasiert.
Wahrscheinlich war er von Kalifornien herübergekommen und hatte nicht
geschlafen. Er verdankte Bettys Unermüdlichkeit seine Karriere.
Wir versammelten uns noch einmal in Bettys
Wohnung. Sie hatte auch darauf bestanden. Es sollte fröhlich zugehen, hatte sie
angeordnet. Ein paar Flaschen Wein waren da, und Lissy, der Zwilling, und Vesel
hatten für Gläser und etwas Kuchen aus der ungarischen Bäckerei gesorgt.
Es wurde nicht fröhlich. Wir standen herum
und hatten das Gefühl, daß jetzt, wo Betty nicht mehr war, nicht einer fehlte,
sondern viele.
»Was wird mit der Wohnung?« fragte Meyer
II. »Wer kriegt sie?«
»Die Wohnung wurde Lissy hinterlassen«,
sagte Ravic.
»Die Wohnung und alles, was darin ist.«
Meyer II. wandte sich an Lissy. »Sie werden
sie doch sicher abgeben wollen. Sie ist ja zu groß für Sie allein. Wir suchen
dringend eine für drei Personen.«
»Die Miete geht noch bis Ende des Monats«,
sagte Lissy mit verheulten Augen und stellte Meyer II. ein Glas hin.
Meyer II. trank. »Sie wollen sie doch
sicher abgeben, wie? An Freunde Bettys, nicht an gleichgültige Menschen!«
»Herr Meyer«, erklärte Tannenbaum
ärgerlich. »Muß darüber unbedingt jetzt geredet werden?«
»Warum nicht? Wohnungen sind schwer zu
finden, besonders alte mit niedriger Miete. Da muß man rasch sein. Wir warten
schon lange!«
»Dann warten Sie noch ein paar Tage
länger.«
»Warum?« sagte Meyer II. verständnislos.
»Ich muß morgen wieder auf die Tour und komme erst nächste Woche wieder nach
New York.«
»Dann warten Sie bis nächste Woche. Es gibt
so etwas wie Pietät.«
»Davon rede ich ja«, sagte Meyer II. »Ehe
jemand Unbekannter die Wohnung wegschnappt, ist es doch pietätvoller, wenn
Bekannte von Betty sie kriegen!«
Tannenbaum kochte vor Wut. Er betrachtete
sich, des andern Zwillings wegen, als Lissys Beschützer. »Sie wollen die
Wohnung natürlich umsonst haben, wie?«
»Umsonst? Wer spricht von umsonst? Man
könnte vielleicht etwas zum Umzug beisteuern oder einige Möbel kaufen. Sie
wollen doch kein Geschäft aus einer so traurigen Angelegenheit machen?«
»Doch«, erklärte der rot angelaufene Tannenbaum.
»Lissy hat Betty monatelang umsonst gepflegt, und Betty hat ihr dafür die
Wohnung hinterlassen. Sie wird nicht an Schlawiner verschenkt.«
»Ich muß doch sehr bitten, im Angesichte
des Todes ...«
»Seien Sie ruhig, Herr Meyer«, sagte
Ravic. – »Was?«
»Seien Sie ruhig. Machen Sie Fräulein
Koller ein schriftliches
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