E.M. Remarque
hochschießt und romantische Blüten ansetzt? In normalen Zeiten
wäre ich kein so unzeitgemäßer, falscher Romantiker geworden.«
»Glaubst du das?«
»Nein, aber es ist etwas daran.«
»Es gibt keine falschen Romantiker,
Robert«, sagte Natascha.
»Doch. In der Politik. Da aber stiften sie
fürchterliches Unheil. In Deutschland sitzt gerade einer im Bunker von Berlin.«
Ich brachte sie nach Hause. Der Rolls-Royce
war zum Glück nicht mehr da, sie hatte ihn fortgeschickt. Ich wäre nicht
überrascht gewesen, wenn sie ihn behalten hätte. »Wunderst du dich nicht, daß
er weg ist?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich.
»Du hast es erwartet?«
»Auch nicht.«
»Was hast du erwartet?«
»Daß du mit mir ins Hotel Reuben kommen
würdest.«
Wir standen im Eingang ihres Hauses. Es war
dunkel und sehr kalt. »Es ist schade, daß wir das Appartement nicht mehr haben,
wie?«
»Ja«, erwiderte ich und sah in das fremde
Gesicht mit den langen Wimpern.
»Komm mit mir hinauf«, flüsterte sie. »Aber
wir müssen uns stumm lieben.«
»Nein«, sagte ich. »Komm mit mir ins Hotel.
Da brauchen wir nicht stumm zu sein.«
»Warum hast du mich nicht vom Pavillon
gleich mitgenommen?« – »Ich weiß es nicht.«
»Wolltest du mich nicht?«
»Ich weiß es nicht. Manchmal will man und
will nicht.«
»Was war es?«
»Vielleicht weil du so fremd warst. Ich
weiß es nicht. Jetzt will ich, weil du so fremd bist.« – »Nur deshalb?«
»Nein.«
»Such ein Taxi. Ich warte hier.«
Ich ging rasch zur Straßenecke. Es war sehr
kalt, und es war aufregend zu wissen, daß Natascha im Dunkel der Haustüre
wartete. Ich spürte, daß kleine Muskel in meiner Brust zitterten. Ich lief bis
zur nächsten Ecke und fand ein Taxi und fuhr mit ihm zurück. Natascha kam rasch
aus dem Hause. Wir sprachen nicht miteinander. Ich fühlte, daß auch Natascha
zitterte. Wir hielten uns an den Händen und preßten sie aneinander, aber sie
zitterten weiter. Wir fielen fast aus dem Taxi. Niemand sah uns. Es schien, als
wäre es das erstemal, daß wir zusammen waren.
XXXI.
B etty Stein starb im
Januar. Die letzte deutsche Offensive gab ihr den Rest. Sie hatte den Vormarsch
der Alliierten gierig verfolgt, ihr Zimmer war voll von Zeitungen gewesen. Als
dann überraschend die deutsche Gegenoffensive einsetzte, war ihr verzweifelter
Mut gesunken. Selbst der Zusammenbruch der Offensive konnte ihn nicht wieder
beleben. Sie dämmerte dahin und glaubte, der Krieg würde sich jetzt noch Jahre
hinziehen. Ihre große Hoffnung, die Deutschen würden sich von den Nazis
befreien, sank. »Sie werden jede Stadt verteidigen«, erklärte sie müde. »Es
wird noch Jahre dauern. Sie und die Nazis sind eins. Sie werden sie nicht im
Stich lassen.« Sie schwand dahin. Eines Morgens fand Lissy sie tot im Bett. Sie
war plötzlich klein und leicht geworden, und es war schwer, sie wieder zu
erkennen, wenn man sie eine Woche nicht gesehen hatte, so sehr hatten die
letzten Tage sie verändert.
Sie hatte nicht verbrannt werden wollen.
Sie behauptete, dieser reinliche Tod sei durch die ununterbrochen flammenden
Krematorien der Deutschen, die aus hunderten von Schloten leuchteten wie die
Schornsteine eines riesigen Schmelzwerkes der Hölle, für lange Zeit unannehmbar
geworden, Betty hatte sogar die Medizinen der deutschen Chemiewerke abgelehnt,
die noch aus alten Lagern in Amerika stammten. Ungerührt von all diesem war der
so abstrakte Wunsch übrig geblieben, Berlin wieder zu sehen. In ihrem Kopf war
ein Berlin entstanden, das es nicht mehr gab und von dem keine
Zeitungsnachricht sie abbringen konnte – ein längst vergangenes Berlin der
Erinnerung, das nur noch eigensinnig in den Köpfen vieler Emigranten lebte und
das in ihnen unzerstörbar war.
Betty wurde an einem Tag begraben, an
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