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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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doch kein
Pro­blem. Ich war vierund­sech­zig Jah­re alt, in vol­ler Schaf­fens­kraft, wie man so
sagt, als man 1933 mei­ne Bü­cher ver­brann­te. Jetzt wer­de ich sie­ben­und­sieb­zig.
Ich bin ein Greis, der nicht mehr ar­bei­ten kann. Mein Ver­mö­gen be­steht aus
sie­ben­un­dacht­zig Dol­lar. Se­hen Sie mich an!«
    Frank war so deutsch, daß aus­län­di­sche
Ver­le­ger, die hier und da ein­mal ei­ne Über­set­zung von ihm brach­ten, das nicht
zum zwei­ten Mal ver­such­ten – die Auf­la­gen blie­ben lie­gen. Frank konn­te
auch kein Eng­lisch ler­nen, er war auch da­zu zu deutsch. Er leb­te müh­se­lig von
ge­le­gent­li­chen Vor­schüs­sen und Zu­wen­dun­gen.
    »Ih­re Bü­cher wer­den nach dem Krie­ge wie­der
auf­ge­legt wer­den«, sag­te ich.
    Er sah mich zwei­felnd an. »In Deutsch­land?
Nach zwölf Jah­ren na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Er­zie­hung?«
    »Ge­ra­de des­halb«, sag­te ich und glaub­te es
nicht.
    Frank schüt­tel­te den Kopf. »Ich bin
ver­ges­sen«, sag­te er. »Die drü­ben brau­chen an­de­re Schrift­stel­ler. Nicht mehr
uns.«
    »Ge­ra­de Sie!«
    »Ich? Ich hat­te 1933 noch vie­le Plä­ne«,
sag­te Frank lei­se. »Jetzt ha­be ich kei­ne mehr. Jetzt bin ich alt. Es ist
furcht­bar. Man glaubt es so lan­ge nicht, bis man es ist. Jetzt weiß ich es.
Wis­sen Sie, seit wann? Seit ich zum ers­ten Mal ge­merkt ha­be, daß der Krieg für
die Na­zis ver­lo­ren ist und daß man viel­leicht zu­rück­ge­hen kann.«
    Kei­ner ant­wor­te­te. Ich blick­te aus dem
Fens­ter. Drau­ßen leuch­te­te der Win­ter­him­mel, und das Ge­tö­se der Last­kraft­wa­gen
ließ das Zim­mer lei­se zit­tern. Dann hör­te ich, wie Frank und Hol­zer sich
ver­ab­schie­de­ten.
    »Welch ein Mor­gen«, sag­te ich zu Kahn.
»Welch ein strah­len­der Tag!«
    Er nick­te. »Sie ha­ben na­tür­lich ge­hört, daß
Car­men ge­hei­ra­tet hat?«
    »Von Tan­nen­baum. Aber in Ame­ri­ka wird man
leicht ge­schie­den.«
    Kahn lach­te. »Mein lie­ber Ro­bert! Sonst
noch ein Trost?«
    »Nein«, sag­te ich. »Eben­so we­nig wie für
Hol­zer.«
    »Und eben­so we­nig wie für Frank?«
    »Das ist ein ver­damm­ter Un­ter­schied! Sie
sind kei­ne fünf­und­sieb­zig Jah­re alt.«
    »Ha­ben Sie ge­hört, was Frank ge­sagt hat?«
    »Ja. Er ist fer­tig. Und er weiß nicht,
wo­hin. Er ist alt ge­wor­den, oh­ne es zu mer­ken. Wir sind es nicht.«
    Mir fiel das dis­zi­pli­nier­te und doch
zer­fah­re­ne We­sen Kahns auf. Ich schob es auf Bet­ty und Car­men. Es wür­de in
kur­z­er Zeit vor­bei­ge­hen. »Sei­en Sie froh, daß Sie nicht bei Bet­tys Trau­er­fei­er
wa­ren«, sag­te ich. »Es war scheuß­lich.«
    »Sie hat Glück ge­habt«, er­wi­der­te Kahn
nach­denk­lich. »Sie ist zur rech­ten Zeit ge­stor­ben.«
    »Mei­nen Sie?«
    »Ja. Stel­len sie sich vor, sie hät­te
zu­rück­ge­hen kön­nen. Sie wä­re vor Ent­täu­schung kre­piert. So ist sie in Er­war­tung
ge­stor­ben. Ich weiß, sie war zum Schluß ver­zwei­felt, aber ein klei­ner Fun­ke
Er­war­tung glimm­te wohl noch. Er­war­tung hat ein sehr zä­hes Le­ben.«
    »Wie die Hoff­nung.«
    »Hoff­nung ist schon an­fäl­li­ger. Das ist so,
wie wenn das Herz noch schlägt, wäh­rend das Ge­hirn schon ge­stor­ben ist.«
    »Ma­chen Sie sich das Le­ben nicht schwe­rer
als nö­tig?«
    Er lach­te. »Ir­gend­wann hört selbst für
Au­to­ma­ten die Kon­trol­le auf. Sie ex­plo­die­ren nicht, sie blei­ben ste­hen.«
    Ich merk­te, daß we­nig mit ihm zu ma­chen
war. Er dreh­te sich im Krei­se wie ein Hund, der Ver­stop­fung hat. Je­des, auch
das ver­hüll­tes­te Zei­chen von Trost spür­te er mit sei­nem an­ge­spann­ten und wa­chen
In­tel­lekt, be­vor es noch ge­äu­ßert wur­de, und lehn­te es ab. Man muß­te ihn al­lein
las­sen. Ich spür­te auch, daß ich selbst mü­de wur­de. We­nig er­mü­det ja so sehr
als im Krei­se zu ren­nen, und nur ei­nes ist noch er­mü­den­der: je­man­dem da­bei zu
fol­gen.
    »Bis mor­gen, Kahn«, sag­te ich. »Ich muß ins
Bil­der­ge­schäft. Wo­zu ha­ben Sie ge­ra­de Leu­te wie Hol­zer und Frank ge­holt? Sie
sind doch kein Ma­so­chist.«
    »Die bei­den wa­ren bei Bet­tys Trau­er­fei­er.
Ha­ben Sie sie nicht ge­se­hen?«
    »Nein. Es war dort voll von

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