E.M. Remarque
»Das
entscheidet über die Strategie des Abends. Wir werden im Pavillon essen.«
»Wir brauchen nicht viel essen, Robert! Ich
hatte ja schon das Steak-Tartar.«
»Wir werden essen, wie es Betrügern und
Falschmünzern zukommt – besser als kleinbürgerliche Fürsten.«
Wir gingen zur Tür. »Guter Gott«, sagte
Natascha. »Da ist ja der Rolls, den hatte ich ganz vergessen!«
Ich blieb wie angewurzelt stehen. »Mit
Fraser drin?« fragte ich mißtrauisch.
»Natürlich nicht. Er ist heute abgereist.
Er hat mir gesagt, er würde den Wagen heute abend hierher schicken, weil es
doch wahrscheinlich spät würde. Ich habe es vergessen.« – »Schicke ihn
weg.«
»Aber Robert. Jetzt ist er doch da. Wir
sind doch schon öfter damit gefahren. Es ist doch nichts dabei!«
»Es ist mein kleinbürgerliches Blut, das
aufschäumt«, erwiderte ich. »Früher war das anders. Jetzt liebe ich dich und
bin Kleinkapitalist. Ich bin in der Lage, ein Taxi zu bezahlen.«
»Paßt es nicht zu Betrügern und
Falschmünzern, den Rolls zu nehmen?«
»Es ist sehr verlockend, ich kann darüber
nicht sofort entscheiden. Nehmen wir ein Taxi, um von vornherein jede Reue zu
vermeiden. Es ist ein angenehmer Abend, klirrend vor Frost. Sag dem Chauffeur,
wir wollten einen Waldlauf machen oder Spazierengehen.«
»Wenn du willst«, sagte sie zögernd und
machte einen Schritt.
»Halt«, erwiderte ich. »Ich habe es mir
überlegt. Verzeih mir, Natascha. Was dir Spaß macht, ist wichtiger als die von
der Salzsäure der Eifersucht getränkte Moral. Steigen wir ein!«
Sie saß wie ein fremdartiger Vogel neben
mir. »Ich habe mein Make-up nicht abgeschminkt«, erklärte sie. »Es hätte zu
lange gedauert, und ich wäre zu hungrig geworden. Außerdem hat man bei Horst im
Studio keine Ruhe dazu. Man verschmiert alles, wischt es dann mit Coldcream ab
und kommt heraus wie ein gerupftes Huhn.«
»Du siehst nicht aus wie ein gerupftes
Huhn«, sagte ich. »Du siehst aus wie ein hungriger Paradiesvogel, der sich
verflogen hat. Oder wie die zum Opfer geschmückte Jungfrau eines unbekannten
Stammes in Timbuktu oder Haiti. Frauen können gar nicht verändert genug
aussehen. Ich bin ein altmodischer Bewunderer der Frau als etwas, das
hergeflogen ist aus Dschungel und Urwald, und ich bin ein Feind der Frau als
gleichberechtigter Kameradin und Geschäftspartnerin.«
»Ein Barbaraiso!«
»Ein hoffnungsloser Romantiker.«
»Bin ich dir barbarisch genug? Falsche,
künstliche Wimpern, ein Film-Make-up, geraubte Juwelen, eine neue Frisur und
ein geliehener Pelzmantel? Ist das genug für deinen Falschmünzer-Charakter?«
Ich lachte. Sie wußte nichts von meinem
falschen Namen und meinem falschen Paß und hielt alles nur für einen Scherz.
»Horst hat mir einen Vortrag gehalten, der viel weiter geht. Von Frauen und von
Politikern. Darin kommen sogar falsche Busen, Zähne, Haare und Hintern vor.«
»Auch bei Politikern?«
»Bei Politikern sogar falsche Überzeugungen.
Falsche Busen auch, an denen man Krokodilstränen vergießen kann. Wir sind noch
lange nicht am Ende. Warte, bis ich mit falschem Geld zahle!« – »Tun wir
das nicht immer?«
Ich nahm ihre Hand. »Wahrscheinlich. Aber
man sollte Geschäftspraktiken stets für das Höchste halten. Im Altertum hatte
die Lüge noch nichts Minderwertiges an sich, sondern war gleichbedeutend mit
der Klugheit. Denke an den listenreichen Odysseus. Wie schön ist es, hier zu
sitzen mit dir, unter den vielen Lichtern, umgeben von Kellnern mit Plattfüßen
und dann zu sehen, wie du ein Sirloinsteak verschlingst. Ich bete dich an,
Natascha, aus vielen Gründen. Ein sehr wichtiger ist, daß du so gerne ißt, in
einem Zeitalter, wo Diät Trumpf ist, und dies auf einer satten Rieseninsel
zwischen zwei Ozeanen und dem Hunger der
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