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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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Me­lo­die, die ich seit
mei­ner Kind­heit nicht mehr ge­hört hat­te.
    »Wie hübsch«, sag­te ich sar­kas­tisch.
    »Es ist ein Ge­schenk mei­ner Frau«,
er­wi­der­te der An­walt leicht ver­le­gen. »Ein Hoch­zeits­ge­schenk.«
    Ich ver­mied es, ihn zu fra­gen, ob auch die
Uhr an­ti­se­mi­tisch sei.
    Mir schi­en aber, als hät­te ich durch den
Kuckuck einen un­er­war­te­ten Bun­des­ge­nos­sen be­kom­men. Der An­walt er­klär­te
plötz­lich fast sanft: »Ich wer­de für Sie tun, was ich tun kann. Ru­fen Sie
über­mor­gen Vor­mit­tag hier an.«
    »Und das Ho­no­rar?«
    »Ich wer­de das mit Frau Stein be­spre­chen.«
    »Es wä­re mir lie­ber, wenn ich es wüß­te.«
    »Fünf­hun­dert Dol­lar«, sag­te er. »In Ra­ten,
wenn Sie wol­len.«
    »Glau­ben Sie, daß Sie et­was er­rei­chen
kön­nen?«
    »Einen Auf­schub schon. Dann muß man wei­ter
ver­han­deln.«
    »Dan­ke«, sag­te ich. »Ich wer­de über­mor­gen
an­ru­fen.«
    »Kunst­stück«, sag­te ich un­will­kür­lich, als
ich in dem schma­len Auf­zug des eng­brüs­ti­gen Hau­ses hin­un­ter­fuhr. Ei­ne Frau mit
ei­nem Schwal­ben­nest auf dem Kopf und mit Wan­gen, von de­nen der Pu­der stäub­te,
wenn der Auf­zug mit ei­nem Ruck hielt, sah mich em­pört an. Ich starr­te über sie
hin­weg, so des­in­ter­es­siert, wie ich nur konn­te. Ich hat­te be­reits ge­lernt, daß
Frau­en in Ame­ri­ka leicht nach der Po­li­zei ru­fen. Think! stand auf dem
Ma­ha­go­ni­schild­chen im Auf­zug über dem Kopf mit den zit­tern­den gel­ben Löck­chen
und der reg­lo­sen Schwal­ben­brut.
    Auf­zugs­ka­bi­nen mach­ten mich im­mer ner­vös.
Sie hat­ten kei­nen zwei­ten Aus­gang, und man konn­te aus ih­nen schwer ent­wei­chen.
    Ich ha­be als jun­ger Mensch die Ein­sam­keit
ge­liebt. In den Jah­ren mei­ner Flucht und mei­ner Wan­der­schaft ha­be ich sie
fürch­ten ge­lernt. Nicht nur, weil sie mich zum Nach­den­ken und da­mit rasch zur
Me­lan­cho­lie brach­te, auch weil sie ge­fähr­lich war. Wer sich im­mer ver­ste­cken
muß, liebt die Men­ge. Sie macht ihn an­onym. Er fällt nicht auf.
    Ich be­trat die Stra­ße, und sie war wie ei­ne
Um­ar­mung von tau­send an­de­ren an­ony­men Freun­den. Sie war of­fen, vol­ler Tü­ren,
Aus­gän­ge, Win­kel und Ab­zwei­gun­gen und vor al­lem vol­ler Men­schen, zwi­schen de­nen
man ver­schwand.
    ***
    »Wir ha­ben uns ge­gen un­sern
Wil­len, aber aus Not­wen­dig­keit, die Men­ta­li­tät von Ver­bre­chern an­ge­eig­net«,
sag­te ich zu Kahn, mit dem ich in ei­ner Pizza­stu­be zu Mit­tag aß. »Sie
viel­leicht we­ni­ger als wir an­de­ren. Sie wa­ren ag­gres­siv und schlu­gen zu­rück,
wir an­de­ren aber wur­den nur ge­prü­gelt. Glau­ben Sie, daß wir das je ver­lie­ren
wer­den?«
    »Die Angst vor der Po­li­zei viel­leicht
nicht. Sie ist auch na­tür­lich. Je­der an­stän­di­ge Mensch hat sie. Das liegt an
den Feh­lern un­se­rer Ge­sell­schafts­ord­nung. Aber sonst? Das liegt an je­dem
ein­zel­nen. Wenn es ir­gend­ei­nen Platz gibt, sie los­zu­wer­den, dann ist es hier.
Die­ses Land ist von Emi­gran­ten ge­grün­det wor­den. Und hier wer­den sie in je­dem
Jahr noch zu Tau­sen­den ein­ge­bür­gert.« Kahn lach­te. »Welch ein Land! Sie
brau­chen hier nur zwei Fra­gen mit Ja zu be­ant­wor­ten, und je­der hält Sie für
einen fa­mo­sen Kerl. Lie­ben Sie Ame­ri­ka? Ja, es ist das herr­lichs­te Land der
Welt. Wol­len Sie Ame­ri­ka­ner wer­den? Ja, selbst­ver­ständ­lich, und man klopft
Ih­nen auf die Schul­ter und fin­det Sie rich­tig.«
    Ich dach­te an den An­walt, von dem ich kam.
»Kuckuck!« er­wi­der­te ich.
    »Was?«
    Ich er­zähl­te Kahn die letz­te Epi­so­de mei­nes
Be­su­ches. »Die­ser hemds­är­me­li­ge Je­ho­va-SA-Mann hat mich wie einen Aus­sät­zi­gen
be­han­delt«, er­klär­te ich.
    Kahn war au­ßer sich vor Ver­gnü­gen.
»Kuckuck!« er­wi­der­te er. »Aber er hat Ih­nen nur fünf­hun­dert Dol­lar be­rech­net.
Das war sei­ne Ent­schul­di­gung! Wie ist die Piz­za?«
    »Gut. Wie in Ita­li­en.«
    »Bes­ser als in Ita­li­en. New York ist ei­ne
ita­lie­ni­sche Stadt. Au­ßer­dem ei­ne spa­ni­sche, ei­ne jü­di­sche, ei­ne un­ga­ri­sche,
ei­ne chi­ne­si­sche, ei­ne afri­ka­ni­sche, ei­ne

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