E.M. Remarque
knalldeutsche ...«
»Eine deutsche?«
»Und wie! Fahren Sie mal zur
Sechsundachtzigsten Straße, da wimmelt es von so vielen Heidelberger
Bierkellern, Café Hindenburgs, Nazis, Deutschamerikanischen- und Turnklubs, von
Gesangvereinen mit ›Heil dir im Siegerkranz‹ und Stammtischen mit
schwarzweißroten, wohlverstanden, nicht schwarzrotgoldenen Fähnchen ...«
»Keine Hakenkreuze?«
»Nicht öffentlich. Sonst sind die
Auslandsdeutschen oft schlimmer als die drüben. Die Abwesenheit wirkt ein
goldenes Gespinst der Sentimentalität um das geliebte ferne Heimatland, aus dem
man seinerzeit weggegangen ist, weil es gar nicht so liebenswürdig war«, sagte
Kahn spöttisch. »Sie müssen mal hören, wenn es da losgeht mit Patriotismus,
Bierseligkeit, Rheinliedern und Führersentimentalität.«
Ich sah ihn an. »Was ist los?« fragte Kahn.
»Nichts«, sagte ich mühsam. »Und das gibt
es hier?«
»Die Amerikaner sind großzügig. Sie nehmen
es nicht sehr ernst. Nicht einmal im Krieg.«
»Im Krieg«, sagte ich. Da war es wieder,
was ich nicht begreifen konnte. Dies war ein Land, das von seinen Kriegen durch
Ozeane und die halbe Welt getrennt wurde. Seine Grenzen rührten nirgendwo an
feindliche. Es wurde nicht bombardiert. Niemand schoß.
»Kriege bestehen darin, daß man benachbarte
feindliche Grenzen überschreitet«, sagte ich. »Wo sind die hier? In Japan und
Deutschland. Das macht den Krieg so unwirklich. Man sieht Soldaten, aber keine
Verwundete. Wahrscheinlich bleiben sie draußen. Oder gibt es keine?«
»Es gibt welche. Und Tote.«
»Trotzdem ist es unwirklich. Als wäre alles
nicht wahr.«
»Es ist wahr. Und wie!«
Ich schaute auf die Straße. Kahn war meinem
Blick gefolgt. »Ist es dieselbe Stadt?« fragte er. »Jetzt, wo Sie schon viel
besser sprechen?«
»Vorher war sie ein Bild und eine
Pantomime, jetzt ist sie schon ein Relief. Sie hat bereits Höhen und Tiefen.
Sie spricht, und man versteht schon etwas. Noch nicht viel, das trägt zur
Unwirklichkeit der Situation bei. Vorher war jeder Taxichauffeur eine Sphinx und
jeder Zeitungsverkäufer ein Welträtsel. Auch jetzt noch ist jeder Kellner ein
kleiner Einstein, aber ein Einstein, den ich bereits verstehe – wenn er
nicht gerade über Physik und Mathematik spricht. Die Verzauberung bleibt,
solange man nichts will. Wenn man aber etwas will, beginnen die
Schwierigkeiten, und man stürzt aus seiner philosophischen Träumerei hinab auf
das Niveau eines zurückgebliebenen Zehnjährigen.«
Kahn bestellte eine doppelte Portion Eis.
»Pistazien und Lime«, rief er der Kellnerin nach. Es war seine zweite Portion.
»Es gibt hier zweiundsiebzig verschiedene Sorten Eis«, erklärte er
schwärmerisch. »Nicht in dieser kleinen Bude, sondern in den Johnson-Läden und
den Drugstores. Etwa vierzig habe ich schon versucht! Das Land ist das Paradies
der Eiscreme-Esser. Zum Glück bin ich ein unersättlicher Eiscreme-Narr. Dieses
vernünftige Land schickt sogar seinen Soldaten, die auf irgendeinem Atoll
Japaner bekämpfen, Schiffe voll gepackt mit Eiscreme und Steaks.«
Er blickte zu der Kellnerin auf, als brächte
sie den heiligen Gral. »Pistazien haben wir nicht«, sagte sie. »Ich habe Ihnen
Pfefferminz und Zitrone gebracht. O.K.?«
»O.K.«
Die Kellnerin lächelte. »Wie appetitlich
die Frauen hier sind«, sagte Kahn. »Appetitlich wie die zweiundsiebzig
Eiscremes. Sie geben ein Drittel ihres Einkommens für Kosmetik aus. Allerdings
fänden sie sonst auch keine Stellungen. Die vulgären Notwendigkeiten der Natur
werden hier weitgehend ignoriert. Jugend ist alles, und wo sie nicht ist, wird
sie künstlich hervorgezaubert. Das gehört ebenfalls in Ihr Kapitel der
Unrealität.«
Ich hörte Kahn
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