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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten im Paradies
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und sehr bleich und laut­los um Hil­fe ru­fend,
die ich ihr nicht ge­ben konn­te, ver­sin­kend in dem zä­hen Ge­schie­be von Pech,
Moor und al­tem Blut, die angst­vol­len Au­gen wie ge­lähmt auf mich ge­rich­tet,
weiß, schrei­end oh­ne Wor­te, mit der schwar­zen Höh­le des auf­ge­ris­se­nen Mun­des,
ge­gen die die schwar­ze kleb­ri­ge Mas­se an­stieg, Kom­man­dos, Blit­ze, ei­ne schar­fe
Stim­me mit ei­nem säch­si­schen Ak­zent, Uni­for­men und ein ent­setz­li­cher
Mord­ge­ruch, Ver­we­sung und Feu­er, auf­ge­ris­se­ne Ofen­tü­ren voll lo­dern­dem Feu­er,
ein Mensch, der sich be­weg­te, nur ei­ne Hand noch be­weg­te, einen ein­zi­gen
Fin­ger, ihn sehr lang­sam krumm mach­te, und je­mand, der dar­auf stampf­te, und
dann plötz­lich der Schrei, der von al­len Sei­ten kam und nach­hall­te ...
    Ich blieb vor ei­nem Schau­fens­ter ste­hen,
sah aber nichts. Erst nach ei­ner Wei­le ent­deck­te ich, daß ich auf der Fifth
Ave­nue stand, vor den Aus­la­gen der Fir­ma von Cleef und Ar­pels. Ich war, oh­ne
dar­über nach­zu­den­ken, von Lowys La­den weg­ge­gan­gen. Zum ers­ten Mal war mir der
Kel­ler wie ei­ne Ge­fäng­nis­zel­le vor­ge­kom­men. Ich hat­te Men­schen ge­sucht und
brei­te Stra­ßen und war auf der Fifth Ave­nue ge­lan­det.
    Ich starr­te auf ein Dia­dem, das der
Kai­se­rin Eu­ge­nie von Frank­reich ge­hört hat­te. Es fun­kel­te im künst­li­chen Licht
mit Bril­lant­blu­men auf schwar­zem Samt. Da­ne­ben lag ein Arm­band mit Ru­bi­nen,
Sma­rag­den und Sa­phi­ren, auf der an­de­ren Sei­te Rin­ge und So­li­täre.
    »Möch­test du so was ha­ben?« frag­te ei­ne
Frau in ei­nem ro­ten Ko­stüm ei­ne an­de­re.
    »Heu­te trägt man Per­len«, er­wi­der­te die
zwei­te Frau. »Klas­se trägt Per­len.«
    »Zucht­per­len oder ech­te?«
    »Zucht­per­len und ech­te. Per­len und ein
schwar­zes Kleid. Das ist Ele­ganz der gu­ten Klas­se.«
    »Meinst du, Eu­ge­nie war kei­ne gu­te Klas­se?«
    »Das wa­ren an­de­re Zei­ten.«
    »Ich hät­te nichts da­ge­gen, wenn ich das Arm­band
hät­te«, sag­te das ro­te Ko­stüm.
    »Zu bunt«, er­wi­der­te die an­de­re Frau.
    Ich ging wei­ter. Ich stand vor Ta­baks­lä­den
und Schuh­ge­schäf­ten, vor Por­zel­lan­lä­den und den Rie­sen­fens­tern der Mo­de­ge­schäf­te
und ih­rem Rausch an Far­ben, Sei­de und den gaf­fen­den Men­schen­men­gen da­vor. Ich
dräng­te mich da­zwi­schen und gaff­te auch, ich horch­te und schnapp­te nach
Ge­sprächs­fet­zen wie ein ver­durs­ten­der Fisch nach Was­ser, ich ging durch den
gan­zen abend­li­chen Auf­ruhr des Le­bens und woll­te dar­an teil­neh­men, in ihm
schwim­men wie all die an­dern, aber ich trieb hin­durch, von ei­nem Strei­fen
fah­len Dun­kels um­weht, wie ein Ores­tes mit dem fer­nen Krei­schen der Fu­ri­en
hin­ter sich.
    Ich über­leg­te, ob ich ver­su­chen soll­te,
Kahn zu er­rei­chen, aber ich woll­te mit nie­man­dem spre­chen, der mich an frü­her
er­in­ner­te. Nicht ein­mal mit Me­li­kow. Es ist schwer, den Traum los­zu­wer­den.
Ge­wöhn­lich ver­lo­ren sich die Träu­me durch den Tag, sie zer­flat­ter­ten, und für
ein paar Stun­den blieb viel­leicht ei­ne im­mer lo­ser wer­den­de, sich ver­wöl­ken­de
Er­in­ne­rung zu­rück, aber dann war es vor­bei. Die­ser je­doch hock­te und blieb. Ich
hat­te ihn zu­rück­ge­drängt, aber er war nicht ge­wi­chen. Ei­ne Dro­hung war
ge­blie­ben, fins­ter und be­reit, wie­der her­vor­zu­bre­chen.
    Ich hat­te in Eu­ro­pa we­nig ge­träumt, ich war
zu sehr da­mit be­schäf­tigt ge­we­sen, zu über­le­gen, und hier hat­te ich ge­glaubt,
ent­kom­men zu sein. Das Meer mit sei­nem Rau­schen hat­te so viel Raum zwi­schen
al­les ge­legt, daß ich die Hoff­nung ge­faßt hat­te, das ver­dun­kel­te Schiff, das
zwi­schen Un­ter­see­boo­ten da­hin­ge­schli­chen war wie ein schat­ten­haf­tes Ge­spenst,
sei auch den an­de­ren Schat­ten ent­kom­men. Aber jetzt wuß­te ich, daß die Schat­ten
mit­ge­kom­men wa­ren. Sie wa­ren da hin­ein­ge­kro­chen, wo ich sie nicht kon­trol­lie­ren
konn­te: in den Schlaf und die geis­ter­haf­te Welt, die sich je­de Nacht oh­ne
Fun­da­men­te auf­baut und mor­gens wie­der zer­stiebt.

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