E.M. Remarque
der Han-Zeit Shang-Bronzen kopiert und eingegraben
haben – das gibt eine gute Patina, wenn sie auch nicht aus der Chou-Zeit
stammt.«
»Was ist das Stück wert?«
»Zwanzig oder dreißig Dollar; aber das
wissen Sie besser als ich.«
»Wollen Sie mit raufkommen?« fragte Lowy
mit einem Glitzern von Jagdeifer in seinen blauen Augen.
»Muß ich?«
»Macht es Ihnen Spaß?«
»Einen kleinen Schwindler zu überführen?
Wozu? Wahrscheinlich ist es gar keiner. Wer versteht schon wirklich etwas von
archaischen China-Bronzen?«
Lowy schoß mir einen raschen Blick zu.
»Keine Anspielungen, Herr Ross!«
Der kleine dicke Mann marschierte die
Kellertreppe hinauf, o-beinig und energisch. Die Treppe bebte. Staub fiel von
den Stufen. Einen Augenblick sah man nur die flatternde Hose und die Schuhe,
der obere Teil des Mannes war bereits im Laden. Es wirkte, als wäre Lowy senior
der hintere Teil eines künstlichen Varieté-Pferdes.
Nach ein paar Minuten erschienen die Beine
wieder. Auch die Bronze wurde wieder sichtbar. »Ich habe sie gekauft«, sagte
Lowy. »Für zwanzig Dollar. Ming ist ja schließlich auch nicht schlecht.«
»Gar nicht«, erwiderte ich. Ich wußte, daß
Lowy die Bronze nur gekauft hatte, um mir zu zeigen, daß er doch etwas
verstünde. Wenn nicht von Bronzen, dann vom Geschäft. Er beobachtete mich.
»Wie lange haben Sie hier noch zu tun?«
fragte er.
»Insgesamt?«
»Ja.«
»Das hängt von Ihnen ab. Wollen Sie, daß
ich gehe?«
»Nein, nein. Aber wir können Sie ja nicht
ewig hier behalten. Sie sind doch hier bald fertig. Was waren Sie früher?«
»Journalist.«
»Können Sie das nicht wieder machen?«
»Mit meinem Englisch?«
»Sie haben schon ganz hübsch gelernt.«
»Aber, Herr Lowy! Ich kann noch nicht
einmal einen Brief ohne Fehler schreiben.«
Lowy kratzte sich mit der Bronze den kahlen
Kopf. Wäre das Stück aus der Chou-Zeit gewesen, hätte er das vermutlich nicht
getan.
»Verstehen Sie auch etwas von Bildern?«
»Nur wenig. Es ist wie bei den Bronzen.«
Er schmunzelte. »Immerhin besser als
nichts. Ich will mich mal umsehen. Vielleicht braucht einer meiner Kollegen
eine Hilfe. Das Geschäft ist zwar flau, das sehen Sie bei Antiquitäten. Aber
bei Bildern ist es anders. Besonders bei Impressionisten. Alte Bilder sind im
Augenblick tot. Na, wir werden mal sehen.«
Lowy stapfte wieder die Treppe hinauf. Au revoir,
Keller, dachte ich. Du warst für kurze Zeit eine dunkle Heimat für mich. Auf
Wiedersehen, ihr goldenen Lampen aus dem späten 19. Jahrhundert, ihr bunten
Appliken von 1890, ihr Möbel aus der Zeit des Bürgerkönigs Louis Philippe, ihr
Vasen aus Persien, ihr leichten Tänzerinnen aus den Gräbern der Tang-Zeit, ihr
Terrakottapferde und all ihr stummen Zeugen verrauschter Kulturen! Ich habe
euch herzlich geliebt und unter euch meine amerikanische Jugend vom zehnten bis
zum fünfzehnten Lebensjahr verbracht! Ahoi und Evoé! Als unwilliger Angehöriger
eines der lausigsten Jahrhunderte grüße ich euch, ein später Gladiator ohne
Waffen in einer Arena voll Hyänen, Schakalen und sehr wenigen Löwen. Als einer,
der sich des Lebens freut, solange er nicht gefressen wird.
Ich verneigte mich nach allen Seiten,
spendete Segen nach rechts und links und sah auf meine Uhr. Mein Arbeitstag war
zu Ende. Der Abend stand rot über den Dächern, und die sparsamen Lichtreklamen
begannen bleich zu glühen. Aus den Restaurants kam der freundliche Geruch von
Fett und Zwiebeln.
***
»Was ist denn hier los?«
fragte ich Melikow im Hotel.
»Raoul. Er will sich das Leben nehmen.«
»Seit wann?«
»Seit heute nachmittag. Er hat Kiki
verloren, der seit vier Jahren sein Freund war.«
»In diesem Hotel wird viel geweint«, sagte
ich, während ich auf das dumpfe Schluchzen lauschte, das aus der Ecke mit den
Pflanzen in die
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