E.M. Remarque
Diese aber blieben wie
klebriger, nasser Rauch – ich spürte Kälte im Nacken –, Rauch, fader,
süßlicher Rauch. Rauch aus Krematorien.
Ich schaute mich um. Niemand beobachtete
mich. Die süße Müdigkeit eines schönen Abends wölbte sich zwischen den
Steinfronten mit ihren Tausenden von blinkenden Fensteraugen. Zwei, drei
Stockwerke hoch hingen Reihen von goldenen Schaufenstern übereinander, mit
Vasen, Bildern, Pelzen und Zimmern voll glänzend-brauner alter Möbel und
seidener Lampen. Die ungeheure Vertrautheit der Bürgerlichkeit schimmerte von
allen Seiten; das Bilderbuch eines generösen Gottes gütiger Verschwendung, der
zu flüstern schien: Nehmt, nehmt! Es ist genug da!
Welch ein Friede! Welch ein
Abendspaziergang frisch erwachter Illusionen, verwelkter Liebe, die sich wieder
aufrichtet, Hoffnung, neu grünend unter dem sanften Regen barmherziger Lügen,
Stunde der Großmannssucht, der Wünsche und der schlafenden Resignation, Stunde,
wo selbst Generäle und Politiker nicht nur glauben, sondern eine kurze Zeit
sogar fühlen, daß sie Menschen sind und nicht ewig leben.
Wie ich mich anschmiegte an dieses Land,
das die Toten schminkt, die Jugend vergöttert und seine Soldaten zum Sterben
schickt in Länder, die sie nie vorher gesehen haben und von denen sie nicht
einmal wußten, wo sie lagen und für was sie dort willig starben. Die ersten
Weltbürger in Uniform.
Warum konnte ich nicht daran teilhaben?
Warum gehörte ich ewig zu jener Gruppe von Heimatlosen, die in stolperndem,
armseligem Englisch und mit heißem, unsicherem Herzen endlose Treppen erstiegen
und Aufzüge fuhren und von einem Zimmer zum andern gingen, geduldet, aber nicht
geliebt, und schon liebend, weil sie doch geduldet wurden?
Ich stand vor dem Pfeifenladen von Dunhills. Braun geflammt
und matt poliert lagen die Symbole der Bürgerlichkeit und Sicherheit da,
köstliche Ruhe verheißend und Abende voller gelassener Gespräche, Nächte mit
dem Geruch von Honig, Rum, Shag-Tabak noch in den Haaren, und nebenan im
Badezimmer das leise Rumoren einer nicht zu dünnen Frau, die sich für die Nacht
und das große Bett vorbereitet. Wie anders war das als die bis zur Kippe
gerauchten, hastig ausgedrückten Zigaretten der Fremde, diese schwarzen Gauloises,
die nach Angst rochen und nicht nach Gemütlichkeit und Friedfertigkeit.
Ich werde in einer scheußlichen Weise
sentimental, dachte ich. Wie lächerlich das war! War ich dazu einer der
zahllosen Ahasverus geworden, um nun nach dem warmen Ofen und einem Paar
gestickter Pantoffeln zu jammern? Nach der trostlosen Muffigkeit der Gewohnheit
und den ausgelatschten Gefühlen der drapierten Langeweile?
Ich drehte mich entschlossen um und verließ
die Läden der Fifth Avenue. Ich wandte mich nach Westen und kam durch die Allee
der Bauernfänger und Burlesktheater in die Straßen, wo die Leute schweigend auf
den hohen Stufen vor den Haustüren saßen, die Kinder wie schmutzige weiße
Schmetterlinge vor den schmalen Häusern aus braunem Stein, die Erwachsenen müde
und, wenn man der schützenden Dunkelheit trauen konnte, ohne schwere Sorgen.
Eine Frau, dachte ich, je näher ich dem
Hotel Reuben kam. Eine Frau, ein dummes, lachendes Tier mit gelben Haaren und
einem schaukelnden Hintern, eine Frau, die von nichts etwas weiß und keine
anderen Fragen stellt als die, ob man genug Geld für sie bei sich hat, und dann
eine Flasche kalifornischer Burgunder und meinetwegen Rum hinein, der billig
war – und die Nacht bei ihr in ihrer Wohnung, so daß man nicht ins Hotel
zurück mußte, nicht in dieser Nacht, nicht gerade in dieser Nacht. Aber wo war
die Frau, das Mädchen, die Hure? Ich war hier nicht in Paris, und ich
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