E.M. Remarque
Plüschbude kam. »Und immer unter Palmen.«
»In jedem Hotel wird viel geweint«,
erklärte Melikow.
»Im Ritz auch?«
»Im Ritz wird geweint, wenn die Börse
fällt. Bei uns, wenn der Mensch sich unversehens bewußt wird, daß er
hoffnungslos allein ist, obwohl er es nicht glaubte.«
»Ist Kiki unter ein Auto gekommen?«
»Schlimmer. Er hat sich verlobt. Mit einer
Frau. Das ist die Tragik für Raoul. Wäre er mit einem anderen Homo
durchgegangen, so wäre es in der Familie geblieben. Aber eine Frau! Das ist das
ewige feindliche Lager. Verräterei. Die Sünde wider den heiligen Geist.
Schlimmer als tot.«
»Die armen Schwulen! Sie müssen sich nach
zwei Seiten verteidigen. Gegen Männer- und Frauenkonkurrenz.«
Melikow schmunzelte. »Raoul hat vorhin eine
Reihe von bemerkenswerten Aussprüchen darüber gemacht, wie ihm Frauen
vorkommen. Die einfachste darunter war: wie Seehunde ohne Haut. Auch über die
in Amerika so angebetete Zier der Damen, die volle Brust, hat er sich rüde
geäußert. ›Schlappende Kuheuter entarteter Säuger‹ war das mildeste. Jedes Mal,
wenn er sich vorstellt, daß Kiki an einer davon hängt, brüllt Raoul auf. Gut,
daß du gekommen bist. Wir müssen ihn auf sein Zimmer schaffen. Hier unten kann
er nicht bleiben. Hilf mir. Der Kerl wiegt zweihundert Pfund.«
Wir näherten uns der Palmenecke. »Er kommt
wieder, Raoul«, flüsterte Melikow. »Jeder Mensch kann einmal irren. Kiki kommt
wieder. Fassen Sie sich.«
Wir versuchten ihn hochzuheben. Er stemmte
sich gegen den Marmortisch und flennte. Melikow redete weiter beschwörend auf
ihn ein. »Sie müssen schlafen, danach ist alles besser. Er kommt wieder, Raoul.
Ich habe so etwas öfter gesehen. Er kommt zurück.«
»Befleckt!« knirschte Raoul.
Während wir ihn wieder emporhoben, trat er
mir auf den Fuß. Zweihundert Pfund. »Passen Sie auf, Sie verdammtes altes
Weib!« fluchte ich.
»Was?«
»Ja, Sie benehmen sich wie eine rührselige
Kaffeeschwester!«
»Ich ein altes Weib?« sagte Raoul,
plötzlich einigermaßen normal.
»Herr Ross meint das nicht so«,
beschwichtigte Melikow.
»Doch, ich meine es so!«
Raoul fuhr sich über die Augen. Wir
blickten ihn an und erwarteten einen hysterischen Aufschrei. »Ich ein Weib!«
sagte er statt dessen leise und tödlich beleidigt. »Ich ein Weib!«
»Das hat er nicht gesagt«, log Melikow. »Er
hat gesagt: wie ein Weib.«
»So wird man verlassen«, erklärte Raoul und
erhob sich ohne unsere Hilfe.
Wir brachten ihn mühelos zur Treppe. »Ein
paar Stunden Schlaf«, sagte Melikow beschwörend. »Ein oder zwei Seconals und
ein erfrischender Schlaf. Danach eine gute Tasse Kaffee. Dann sieht alles schon
viel einfacher aus!«
Raoul antwortete nicht. Auch wir hatten ihn
verlassen. Die ganze Welt. »Warum geben Sie sich mit dem fetten Mondkalb solche
Mühe?« fragte ich.
»Er ist unser bester Mieter. Hat zwei
Zimmer und ein Bad.«
VI.
I ch wanderte ziellos
durch die Straßen und fürchtete mich davor, ins Hotel zurückzukehren. Ich hatte
nachts geträumt und war mit einem Schrei erwacht. Ich hatte schon vorher ab und
zu einmal geträumt, von der Polizei verfolgt zu werden, oder ich hatte den
alten Traum aller Emigranten: über die deutsche Grenze geraten zu sein und von
der SS entdeckt zu werden. Aber das waren Träume der Verzweiflung über die
eigene Dummheit, hineingeraten zu sein. Auch aus ihnen erwachte man manchmal
schreiend, doch dann entdeckte man, daß man in New York war, blickte aus dem
Fenster in den rötlichen Nachthimmel der Straße und streckte sich vorsichtig
wieder aus: man war gerettet. Dieser Traum war anders gewesen, unbestimmter,
aus Stücken zusammengeflossen, zäh, dunkel, pechartig und ohne Ende. Eine Frau
hatte es in ihm gegeben, verstört
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